“Die Notwendigkeit der Novelle ist bei genauerer Betrachtung nicht zu sehen – auch nicht die ökonomische”, sagte der Soziologe Jörg Flecker am Mittwoch vor Journalisten in Wien.
Längere Arbeitszeiten, um Aufträge schneller abarbeiten zu können, bedeute nicht ein Mehr an Aufträgen, argumentierte Flecker, sondern dass ein anderes Unternehmen eben diesen Auftrag nicht bekomme. Der an der Universität Wien tätige Soziologe sieht die Gefahr von Sozialdumping. Ebenso bestreitet er die von der Regierung ins Treffen geführten Vorteile sowohl für Arbeitgeber als auch für Arbeitnehmer. “Es ist eine falsche Darstellung in der Öffentlichkeit, dass flexible Arbeitszeiten beiden Teilen zu gute kommen.” Laut Untersuchungen werde Gleitzeit überwiegend aus betrieblichen Interessen genützt. “Auch die Arbeitnehmer haben die Erfordernisse der Erwerbsarbeit im Blick, private Bedürfnisse sind die Ausnahme.”
Negative Folge für Alleinerzieherinnen befürchtet
Gabriele Michalitsch, Politikwissenschafterin an der Universität Wien, übte Kritik an der vorgesehenen Bestimmung, wonach Arbeitnehmer längere Arbeitszeiten aus persönlichen Gründen – darunter fällt unter anderem Kinderbetreuung – ablehnen können. Denn die Entscheidung darüber liege beim Arbeitgeber. “Arbeitnehmer müssen Privates offenlegen”, bemängelte Michalitsch. Sie sieht vor allem Alleinerzieherinnen von negativen Folgen des geplanten Arbeitszeitgesetzes betroffen, die nach ihren Angaben 15 Prozent aller Familientypen darstellen. Kritik übte die Politikwissenschafterin auch an der Form, in der die Regierung die Novelle einbrachte und wie auf Kritik gekontert wird. Durch den Initiativantrag werde versucht, die Debatte auf ein Minimum zu beschränken, “das Parlament stellt gleichsam eine Abstimmungsmaschine dar”, sagte Michalitsch. “Kritik wird abqualifiziert als Gräuelpropaganda” konstatierte die Politikwissenschafterin.
Wegfall der Mitbestimmungsmöglichkeiten
Martin Risak, Arbeitsrechtler an der Universität Wien, ist unter anderem der Wegfall der Mitbestimmungsmöglichkeiten ein Dorn im Auge. Schon jetzt gebe es zahlreiche Möglichkeiten, zwölf Stunden am Tag und 60 Stunden in der Woche zu arbeiten – allerdings ist es nicht die Regel. Er verwies auf das Wahlprogramm des nunmehrigen Bundeskanzlers Sebastian Kurz (ÖVP), in dem keine Erhöhung der Arbeitszeit ohne betriebliche Mitbestimmung angekündigt worden sei. Risak wies darüber hinaus auf die im Initiativantrag enthaltene Möglichkeit hin, Sonntagsarbeit zu erleichtern, und die Ausweitung des Begriffs “leitender Angestellter”. Solche Arbeitnehmer sind von den Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes ausgenommen. Um aus dem Vorschlag ein vernünftiges Gesetz zu machen, seien Mitbestimmung, ein adäquater Ausgleich für längere Arbeit und bezahlte Pausen notwendig.
Warnung vor erhöhtem Unfallrisiko
Gerhard Blasche von der MedUni Wien warnte vor einem erhöhten Unfallrisiko. Belegt sei eine Zunahme der Unfallhäufigkeit bei Industriearbeiterin ab der zehnten Stunde. Unfälle sind ebenso wie Fehler eine Folge von Müdigkeit. Zwei Zwölf-Stunden-Schichten von Altenpflegern erfordern drei Tage Erholung, erklärte der Mediziner unter Berufung auf eine Studie des Zentrums für Public Health, an der er selbst beteiligt war. Bleibt wenig Zeit für Erholung, wird Müdigkeit in den nächsten Tag mitgenommen. Auf mögliche langfristige Probleme in Zusammenhang mit einem späteren Pensionsantrittsalter wies der Arbeitspsychologe Christian Korunka von der Uni Wien hin.

(APA)