Beinamputierte Frau stach Adoptivvater ins Herz: Mordversuch-Prozess in Wien

Der Prozess wegen versuchten Mordes wurde kurzfristig in den Saal 211 verlegt, der Transport der im Rollstuhl sitzenden, beinamputierten 33-Jährigen über zwei Stockwerke nahm einige Zeit in Anspruch.
“Keine gute Kindheit”
Staatsanwalt Stephan Wehrberger gestand der Angeklagten zu, sich “grundsätzlich in einer schwierigen Situation” befunden zu haben. Sie habe “alles andere als eine gute Kindheit gehabt”, negative Gefühle gegen ihren Adoptivvater “liegen auf der Hand”, konzedierte der Ankläger.
Die Frau war bei Adoptiveltern aufgewachsen, weil ihre Mutter nach Ansicht des Jugendamts als Prostituierte und Alkoholikerin der Kindererziehung nicht gewachsen gewesen wäre. Die “Ersatzmutter” soll das Mädchen aber regelmäßig verprügelt und misshandelt haben. “Ich hab’ die ersten elf Jahre meines Lebens in Angst vor ihr verbracht”, schilderte die Angeklagte.
Angeklagte hatte psychische Probleme
Der Adoptivvater – ein Polizist – habe untätig zugeschaut. “Er war zu feig, um einzugreifen. Er war seiner Frau hörig”, stellte Verteidiger Nikolaus Rast dazu fest. Zudem soll der Mann das Mädchen missbraucht haben, wozu die 33-Jährige aber dem Schwurgericht (Vorsitz: Susanne Lehr) nichts Näheres erzählen wollte.
Nach dem erfolgreichen Abschluss eines Hochschulstudiums in London und der Rückkehr nach Wien hatten sich bei der Frau psychische Probleme eingestellt. Angeblich soll sie an einem Borderline-Syndrom leiden. Es kam zu mehreren Selbstmordversuchen und damit verbundenen stationären Aufenthalten im Otto-Wagner-Spital (OWS).
Beine nach Suizid-Versuch amputiert
Beim Versuch, auf einen fahrenden Güterzug aufzuspringen – für die Angeklagte “ein Unfall”, für die behandelnden Ärzte ein weiterer Suizidversuch -, geriet sie unter die Garnitur. Ihr wurden Anfang März 2012 beide Beine in Kniehöhe abgetrennt.
Als sie zu einem Kontrolltermin vom OWS in ein anderes Spital gebracht wurde, wo sie Prothesen erhalten sollte, kehrte die 33-Jährige nicht ins OWS zurück. Sie suchte stattdessen am folgenden Tag ihren Adoptivvater auf, nachdem sie die Nacht mit ihrem Freund und einer alten Schulfreundin verbracht hatte.
Frau wollte bei Stiefvater unterkommen
Wie die Angeklagte nun dem Gericht erklärte, habe sie erhofft, eine Weile bei dem 69-Jährigen leben zu können: “Er war immer meine Bezugsperson. Er war immer der, der da war.” Sie habe mittelfristig eine Wohnung für sich finden wollen: “Ich hatte das Gefühl, ich kann es vielleicht doch schaffen und ein eigenes Lebens führen ohne Füße. Es war so eine Aufbruchstimmung.”
Doch ihr Adoptivvater sei auf ihre Vorstellungen nicht eingegangen, habe ständig mit der Polizei, die die vom OWS als abgängig gemeldete Patientin bereits suchte, und der Rettung telefoniert und sie zu überzeugen versucht, auf die Psychiatrie zurückzukehren wäre die einzige vernünftige Lösung. Da habe sie mit dem Rollstuhl ein Obstmesser aus der Küche geholt und zugestochen, “weil ich mir gedacht habe, er kann dann nicht weitertelefonieren”.
Messer-Stich ins Herz: Unbeabsichtigt?
Sie habe die Situation nicht mehr ausgehalten: “Ich wollte, dass er aufhört mich auszuliefern.” Sie sei “nur mehr verzweifelt gewesen”, schilderte die 33-Jährige, die während ihrer Einvernahme eine Schaukelpferd-Miniatur aus Holz umklammerte.
Ein Stich traf den 69-Jährigen in die Brust und eröffnete den Herzbeutel. Ein zweiter ging in die linke Achselfalte. Sie habe “nur in den Oberarm stechen wollen”, beteuerte die Angeklagte. Sie habe “nicht einmal Blut gesehen”. Der Adoptivvater sei vielmehr “aufgestanden und durch die Wohnung gegangen und hat sich auf die Terrasse gesetzt.”
Gutachterin: “Krank, aber zurechnungsfähig”
Als psychisch krank, aber zum Tatzeitpunkt zurechnungsfähig bezeichnete die psychiatrische Sachverständige Gabriele Wörgötter die 33-jährige Frau, die auf ihren Adoptivvater eingestochen hatte. Diese sei jedenfalls in der Lage gewesen, das Unrecht ihres Handelns einzusehen. Zugleich bescheinigte die Gutachterin der Angeklagten, keinesfalls “plangemäß” gehandelt zu haben.
Wien. Dessen ungeachtet verlangte der Staatsanwalt in seinem Schlussplädoyer einen Schuldspruch wegen versuchten Mordes. Die Angeklagte habe mit einem Messer mit einer Klingenlänge von neun Zentimetern dem 69-Jährigen mitten in die Brust gestochen und damit dessen Tod billigend in Kauf genommen.
Prozess: Urteil nicht vor 18.00 Uhr
“Sie wollte nichts anderes als eine Körperverletzung”, hielt Verteidiger Nikolaus Rast dem entgegen. Die Frau habe verhindern wollen, vom 69-Jährigen zurück auf die Psychiatrie geschickt zu werden.
Mit dem Urteil im Prozess um den Mordversuch war nicht vor 18.00 Uhr zu rechnen.
(apa/red)