"Dickkopf-1"-Gen lässt das Gehirn altern

Wissenschaftler am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ/Heidelberg) entdeckten bei Mäusen, dass im Gehirn älterer Tiere deutlich mehr Nervenzellen neu entstehen, wenn das Signalmolekül “Dickkopf-1” ausgeschaltet ist. Solche Tiere erreichten bei Tests der räumlichen Orientierung und Erinnerung auch im hohen Erwachsenenalter dieselbe geistige Leistungsfähigkeit wie Jungtiere.
Merk- und Lernfähigkeit lässt nach
Die Alterungsprozesse, welche eine abnehmende kognitive Leistungsfähigkeit bedingen, spielen sich zu einem Gutteil in der sogenannten Hippocampus-Gehirnregion ab. Das ist eine Struktur des Großhirns, die von ihrer Form her an ein Seepferdchen erinnert. Dort werden Informationen gespeichert und abgerufen. Diese Leistung ist abhängig davon, dass im Hippocampus zeitlebens junge Nervenzellen entstehen.
“Im Alter nimmt die Produktion neuer Nervenzellen jedoch drastisch ab. Das gilt als eine der Ursachen für das Nachlassen der Merk- und Lernfähigkeit”, wurde die Neurowissenschaftlerin Ana Martin-Villalba am Freitag in einer DKFZ-Aussendung zitiert.
Zuständig für die konstante Neubildung von Nervenzellen sind neuronale Stammzellen im Hippocampus. Bestimmte Moleküle in der direkten Umgebung der Stammzellen entscheiden über ihr weiteres Schicksal. Zu diesen Faktoren zählt das Signalmolekül “Wnt”, das die Entstehung junger Nervenzellen fördert. Sein molekularer Gegenspieler “Dickkopf-1” dagegen kann dies verhindern.
Leistung steigerte sich bei Blockierung
“Im Gehirn von älteren Mäusen finden wir deutlich mehr ‘Dickkopf-1’-Protein als bei Jungtieren. Deshalb hatten wir den Verdacht, dass dieses Signalmolekül dafür verantwortlich sein könnte, dass im Alter kaum noch junge Nervenzellen entstehen”, erklärte die Wissenschaftlerin. Ihre Vermutung überprüften die Wissenschaftler an Tieren, bei denen das Gen in den Nerven-Stammzellen dauerhaft blockiert ist.
Nun entdeckte das deutsche Wissenschaftlerteam, dass die Stammzellen im Hippocampus der “Dickkopf”-Mutanten (Gen ausgeschaltet) sich häufiger selbst erneuern und auch bedeutend mehr junge Nervenzellen hervorbringen.
Besonders deutlich war der Unterschied bei zwei Jahre alten Mäusen: Bei den Dickkopf-Mutanten dieses Alters zählten die Forscher 80 Prozent mehr junge Nervenzellen als in gleichaltrigen Mäusen mit dem aktivierten Gen. Darüber hinaus entwickelten sich die neu entstandenen Zellen der erwachsenen “Dickkopf-1-Mutanten” zu stark verzweigten, leistungsfähigen Neuronen. Die Nervenzellen gleichaltriger Kontrolltiere dagegen waren bereits deutlich verkümmert.
Fruchtfliegen bekamen dicken Kopf
Der Name “Dickkopf-1” für das Gen kam ursprünglich aus der Mutationsforschung an Drosophila-Fruchtfliegen. Das Protein hat bei Fliegen, welche zu viel davon bilden, den Effekt, dass die Tiere zu große Köpfe bekommen. Im Jahr 2007 hat eine der später meistzitierten wissenschaftlichen Arbeiten aus der Rheumatologie von Experten der Universitätsklinik Erlangen und der Rheumatologen an der Universitätsklinik für Innere Medizin III der MedUni Wien am AKH gezeigt, dass das “Dickkopf-1”-Protein auch wesentlichen Anteil an der Entstehung von Knochenschäden bei chronischer Polyarthritis, Osteoporose und beim fortgeschrittenen Myelom besitzt. Es hemmt die Knochenneubildung.
Die DKFZ-Forscher um Ana Martin-Villalba haben sich in diesem Zusammenhang auf die Neurologie konzentriert. Sie haben bereits vor einigen Jahren gezeigt, dass Mäuse ihr räumliches Orientierungsvermögen verlieren, wenn die Bildung neuer Nervenzellen im Hippocampus blockiert ist. Das lässt sich offenbar durch Ausschalten des Gens wieder aufheben. Das ließ sich an den Mäusen beim räumlichen Orientierungs- und Erinnerungsvermögen nachweisen.
Medikamente werden entwickelt
Die Wissenschaftlerin: “Dass die Tiere jedoch tatsächlich noch im hohen Erwachsenenalter das Leistungsniveau von Jungtieren erreichen, hat uns überrascht und beeindruckt.”
Die Ergebnisse werfen die Frage auf, ob die Funktion von “Dickkopf-1” mit Medikamenten ausgeschaltet werden kann. Tatsächlich werden Antikörper, die das Protein blockieren, bereits klinisch geprüft – offenbar bei der Myelom-Erkrankung. (APA)