Das Jesus-Experiment — Drei Götter in einer Anstalt

In einer psychiatrischen Klinik in Ypsilanti (USA), lebten die drei “Götter” zwei Jahre lang zusammen. Unter Leitung des Psychologen Milton Rokeach sollten die Personen mit ihrem Problem konfrontiert werden. Er verfolgte das Ziel, die Überzeugungen der Probanden miteinander kollidieren zu lassen, um sie zu heilen. Wird mein Glaube nicht ins Wanken geraten, wenn ich jemandem begegne, der vorgibt er sei ich?
Ein Fall aus dem 17. Jahrhundert als Vorbild
Diese Frage beschäftigte den Amerikaner, der sich von einem Fall aus dem 17. Jahrhundert inspirieren ließ. Simon Morin hielt sich für Christus und wurde deswegen in ein Irrenhaus gebracht. Nachdem er dort mit einem Patienten konfrontiert wurde, der sich ebenfalls für Gott hielt, kam er von seinem Glauben ab. Der französische Philosoph Voltaire schreibt Jahre später: „Simon war so erschüttert vom Wahnsinn des Anderen, dass er seinen eigenen anerkannte.“ Man kann jedoch nur von einer begrenzten Heilung sprechen – Später kehrte Morin zurück zu seinem Irrglauben und wurde daraufhin als Ketzer verbrannt.
Das Treffen der Götter
Die drei Protagonisten aus Milton Rokeach´s Experiment mussten sich zwar nicht mehr vor der Kirche fürchten, waren aber ebenfalls in psychiatrischer Behandlung. Sie hießen Leon Gabor, Clyde Benson und Joseph Cassel. Ersterer war 33 Jahre alt, als er in die Klinik kam. Doch bis zum ersten Treffen mit den beiden anderen “Söhnen Gottes”, sollten für ihn noch fünf Jahre vergehen. Mit den Worten: „In meiner Geburtsurkunde steht, dass ich der wiedergeborene Jesus Christus von Nazareth bin.“, stellte Leon Gabor sich vor, und weigerte sich, seinen tatsächlichen Namen zu gebrauchen. Joseph Cassel meinte:„ Ich heiße Joseph Cassel. Ich bin Gott.“, während Clyde Benson verkündete: „ Ich heiße Clyde Benson. Ich wurde Gott.“
“Die anderen beiden sind Maschinen”
Zwei Jahre lang sollten sie in einem Raum schlafen, am selben Tisch essen und ähnliche Arbeiten verrichten. Die Gesprächsleitung bei den zahlreichen Treffen übernahm Rokeach in den ersten Wochen selbst. Einerseits, um näheres über die Personen zu erfahren, und andererseits, um das Thema von Familie, Kindheit oder den Ehefrauen schnell wieder auf die eigene Identität zu lenken. So kam es dann auch, dass jeder Proband schon nach wenigen Sitzungen seine eigene Erklärung dafür hatte, warum die anderen beiden vorgaben, Jesus zu sein. Gabor schob den Prestigegewinn eines Jesus-Daseins als Erklärung voran. Benson erläuterte, die anderen beiden seien Maschinen und nicht wirklich am Leben. Der 58-jährige Cassel hatte die pfiffigste Erklärung parat, als er Milton Rokeach erzählte, die anderen beiden könnten nicht Jesus sein, da sie ja offensichtlich Patienten einer psychiatrischen Anstalt seien.
Heftige Auseinandersetzungen
Zuerst kam es zu heftigen Diskussionen, beispielsweise über den ersten Menschen auf der Welt. Gabor war der Überzeugung, dass Adam von schwarzer Hautfarbe gewesen sei. Aber Benson teilte seine Meinung nicht, rastete aus und schlug ihn. Gabor war sich nach dem Vorfall nicht mehr sicher, ob Adam tatsächlich schwarz gewesen sei. Sicher waren sich jedoch weiterhin alle, dass nur sie Jesus Christus seien. Nach zwei Monaten übergab Rokeach den Männern die Gesprächsführung. Währenddessen wandelte sich das Verhalten der drei Personen. Sie versuchten ihre Identität nicht mehr zum Thema zu machen, sprachen über Filme, den Kommunismus, oder über Religion.
Gabor ändert seinen Namen — auch seine Identität?
Als Gabor dann plötzlich seinen Namen ändern ließ, glaubte Rokeach schon an einen Erfolg. Ist er nun geläutert, und weiß, dass er nicht Jesus ist? Anfangs stand auf Gabors Visitenkarte, die er dem Personal zeigte: „Dr. Domino dominorum et Rex rexarum, Simplis Christianus Puer Mentalis Doktor, reincarnation of Jesus Christ of Nazareth“. Nun, ein halbes Jahr später: „Dr. Righteous Idealed Dung Sir Simplis Christianus Puer Mentalis Doktor“. Nachdem der irritierte Rokeach fragte, wie Gabor nun angesprochen werden wolle, antwortete dieser: „ Sie haben das Vorrecht, mich Dr. Dung zu nennen.“
Rokeach vermutete jedoch eher, Gabor wolle in Ruhe gelassen werden, und mit der Namensänderung verhindern, dass ständig an seiner Identität gezweifelt wurde.
Die Briefe der “Ehefrau”
Aber der unermüdliche Rokeach ließ nichts unversucht, um Gabor´s Welt zu erschüttern. Nachdem der Patient eine Ehefrau erwähnte, die ebenfalls nicht real war, kam dem Psychologen eine neue Idee. So schrieb er als Gabor´s „Ehefrau“ Briefe an den Patienten. Kleinere Instruktionen, wie das Singen eines Liedes mit den Männern, die Rokeach als „Ehefrau“ an Gabor verschickte, erfüllte dieser. Der Bitte seinen Namen zu ändern, kam Gabor aber nicht nach.
“Die sind verrückt”
Um stärker in die Männer vorzudringen, konfrontierte Rokeach das Trio mit einem Artikel, der von dem Experiment handelt. Dabei verschwieg er ihnen jedoch, dass sich der Artikel auf sie bezog. Angesprochen auf eben jenen Text, sagt Benson: „Die sind verrückt“. Am Ende sagte er sogar, die Männer in dem Artikel gehörten in psychiatrische Behandlung.
Allen Bemühungen zum Trotz scheiterte das Experiment. Zwei Jahre nach dem ersten Treffen war das Trio immer noch der Überzeugung, sie seien Gott. Der Harmonie wegen versuchten die drei “Christusse von Ypsilanti” jedoch nicht mehr die anderen davon zu überzeugen.