Dörflich direkt

Das bestätigt Architekt Reinhold Strieder: Nicht nur die Steinbauten zeugen – spätestens seit dem großen Brand 1870 – von rätoromanischer Bauart, auch zeichnet sich die einst rein bäuerlich geprägte Siedlung durch ungewöhnlich dichte Bebauung aus. Der Ackerbau (bis ins 19. Jh. bekanntes Hanf-Anbaugebiet), Obstsowie bis Anfang des 20. Jh. gar Weinbau sind der Grünlandwirtschaft gewichen, die kleinbäuerliche Kultur wenigen Landwirtschaftsbetrieben. Doch die Gemeinde wächst beständig, die Sozialstruktur wandelt sich, die meisten finden heute Arbeit im nahen Liechtenstein oder in Feldkirch, die Nachfrage nach Wohnraum ist gerade im ländlichen Raum ungebrochen.
Was mit dem Dorf geschieht, wenn die Landwirtschaft verschwindet, landwirtschaftliche Substanz brach fällt – das stand für den Architekten an erster Stelle. Die Gemeinde lebt von der Dichte des Ortsbildes. Also müssen Lücken wieder gefüllt werden, angemessen in Maßstab und Nutzung. So geschah es im vorliegenden Fall, wo der Neubau ein marodes Bauernhaus ersetzt und frei werdender Wirtschaftsraum dem Wohnen zugute kommt. Ein Weg, den der Bauherr, die gemeinnützige Vogewosi, bestätigt: „Als gemeinnütziger Wohnbauträger kommen wir unserem Auftrag mit der Errichtung kleiner Wohnanlagen nach. Diese lassen sich gut in die ländliche Infrastruktur integrieren und werden dadurch auch besser von der Bevölkerung akzeptiert“, so ihr Geschäftsführer Hans Peter Lorenz.
Die Wohnungsbau- und Siedlungsgesellschaft Vogewosi ist gehalten, gemeinnützig zu wirtschaften, ihr Eigenkapital ausschließlich im Interesse der Mieter einzusetzen und damit langfristig sozial verträgliche Wohnungsentgelte zu sichern. Ihr Engagement für die Baukultur kommt auch dardurch zum Ausdruck, dass die Bauten von ortsansässigen Architekten geplant werden, oft ermittelt in kleinen Wettbewerben. Die Umsetzung obliegt dann der Bauabteilung des Unternehmens. Im Jahr 2010 wurde die kleine Wohnanlage mit elf Wohnungen übergeben. Wie die Mehrzahl der Mieter lebt Claudia A. mit ihren beiden Kindern seit dem ersten Tag hier – ohne dies je bereut zu haben. Wieso auch? Hoher Ausbaustandard, großzügige Loggia ins rückwärtige Grün orientiert, Passivhausstandard mit Komfortlüftung, Garage, Lift, Fahrradraum, Spielplatz im Garten unter derzeit gelben und roten Äpfeln – und das für insgesamt um 8 Euro pro Quadratmeter. „Uns ist wichtig, dass die Qualität hoch ist, weil wir die Anlagen lange betreuen müssen und die Mieter mit wertigen Dingen auch sorgsam umgehen. Da zu sparen, würde uns bald auf die Füße fallen“, führt Projektleiter Helmut Tschegg aus. Tatsächlich: Das Haus schaut noch aus wie neu, die Pflege durch die Mietparteien klappt, die Gemeinschaftseinrichtungen sind in Schuss.
Der Bau entspricht dem Volumen des Vorgängerbaus. Er ist ein kompakter Kubus, flaches Dach, als Massivbau in Beton ausgeführt, mit Mineralfaser außen gedämmt und mit einer hinterlüfteten Schale aus senkrechter Lärchenschalung versehen. Diese Strenge wird überspielt durch die vorgestellten Kuben der Loggien als vorgefertigte Holzkonstruktion mit Verkleidung aus gepresster Steinwolle. Die klare Materialwahl greift auf, was die Nachbarschaft bietet: Stein und Holz. Die Architektur macht daraus ein Spiel mit Irritation: Was wie Holz ausschaut, ist Stein, was eine Steinoptik kultiviert, ist Holz. Im Innern wiederum bleibt’s beim Alten: das Kernhaus weiß verputzte Mauern, die Vorbauten reine Holzkabinette.
Das muss reichen. „Architektonische Extravaganz hat beim Wohnungsbau nichts verloren“, so Architekt Strieder, „der muss leistbar sein, zurückhaltend, nachhaltig.“ Mit hoher Gebrauchsqualität für unterschiedliche Nutzer, also neutral – und so robust sollte es schon sein, dass auch mal ein Fußballspiel im Wohnzimmer drin ist. Eine handfeste Direktheit, die irgendwie zur Umgebung zu passen scheint. Da führt der direkte Weg von der Wohnung in den nahe gelegenen Kindergarten über die Wiese des Nachbarn, was ja eigentlich nicht geht. Aber man redet miteinander, verständigt sich schließlich darauf: wenn’s nicht durch die Mitte sein muss, sondern am Wiesenrand entlang, na gut …
Daten & Fakten
Objekt: Passivhauswohnanlage am Kirchplatz, Satteins
- Förderstufe 5
- 11 Wohneinheiten
- 6 Dreizimmerwhng. mit 77 m²
- 5 Zweizimmerwhng. mit 53 m²
- Tiefgarage, Kellerräume, Fahrradraum, Spielplatz
Bauherrschaft: Vogewosi, Vbg. gemeinnützige Wohnungsbau- und Siedlungsgesellschaft, Dornbirn
Entwurfsplanung: Reinhold Strieder, Satteins
Ausführungsplanung: Vogewosi, Helmut Tschegg
Nutzfläche: 988 m² (inkl. Fahrrad- und Nebenräumen, Keller)
Ausführung: 2009–2010
Baukosten: 1,6 Mio. Euro
Heizung: Kontrollierte Be- und Entlüftung mit Wärmerückgewinnung und Erdgas, Solaranlage 35 m²
Energieverbrauch: 30 kWh/m² Wohnfläche im Jahr (Heizung, Warmwasser, Lüftung) davon Heizenergie: 10 kWh/m² Wohnfläche im Jahr
Bauweise: Dreigeschoßiger Massivbau mit Flachdach; Kerngebäude: verputzter Stahlbeton; Dämmung: 30 cm Mineralfaser hinterlüftet mit lasierter Lärchenschalung; Fußböden: Parkett, Kautschukbelag; Fenster: Dreifachverglasung Holzrahmen; Loggien: vorgestellte Holzkonstruktion, Kreuzlagenholz-Tafelbau; Verkleidung: gepresste Steinwolle
Leben & Wohnen
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