Die 28-jährige Filzmoser hat aber auch gesagt, dass im Judo Überraschungen möglich sind. “Du kannst harte Gegner oder große Favoriten genauso schlagen, wie du gegen eine Algerierin verlieren kannst. Du musst einfach aufpassen.”
Kye wurde 1996 in Atlanta in der Klasse bis 48 kg als 16-Jährige jüngste Olympiasiegerin der Geschichte. 2000 in Sydney eroberte sie Bronze (bis 52 kg), 2004 in Athen Silber (bis 57 kg). 2001, 2003, 2005 und 2007 ging WM-Gold an sie. Ein Steckbrief, der Respekt einflößt. “Sie ist die absolute Favoritin in meiner Gewichtsklasse, und sie ist auch ein verstecktes Geheimnis, denn sie kämpft eigentlich keine Wettkampfturniere.” 2004 in Athen hat Kye im Finale gegen die Deutsche Yonne Bönisch verloren. “Das war wohl eine von ihren zwei, drei einzigen Niederlagen überhaupt in ihrem Leben”, bringt es Filzmoser auf den Punkt.
Die Nordkoreanerin tritt sehr souverän auf. “Immer wenn sie auftaucht, schlagt sie alle um die Ohren. Sie ist aber auch eine Unbekannte, weil sie fast nie an einem Training in Europa teilnimmt. Man hat sie nicht auf Video. Mit den anderen trainiert man, und das kann man mit ihr halt nicht. Ich kenne ihr Körpergefühl und die Körperspannung von ihr überhaupt nicht. Aber andererseits kennt sie mich ja auch nicht besonders. Bis auf das eine Mal”, gibt sich Filzmoser selbstbewusst.
Das eine Mal war bei den Weltmeisterschaften 2005 in Kairo, als Kye die Österreicherin, die dann noch Bronze holte, besiegte. “Ich weiß, sie ist irrsinnig explosiv und da ist ziemlich viel Kraft dahinter. Deswegen ist sie auch irrsinnig schwierig zu schlagen.” Die 28-Jährige geht mit genügend Respekt in diesen Kampf, denn nicht nur wegen des Erfolges ist die Nordkoreanerin eine besondere Gegnerin. “Die Nordkoreaner haben so eine manipulierte Einstellung und scheren sich überhaupt nicht um den Rest der Welt. Und das ist auch das Prinzip, wenn sie auf die Matte gehen. Wenn du ihr in die Augen schaust oder an ihr vorbei gehst, die registriert überhaupt nichts.”
Dass Kye Sun Hui heuer in Hamburg zum Weltcup und dem Trainingslager auftauchte, wurde von der Konkurrenz mit Erstaunen registriert. “Sie hat absichtlich eine Gewichtsklasse höher gekämpft und ist dort Dritte geworden. Sie hat auch nur mit 63-kg-Kämpferinnen trainiert, die hat genügend Kraft, dass sie dort mithalten kann. Sie ignoriert jeden, der richtig gut ist. Du merkst richtig, sie schaut durch die Leute durch, wie wenn du gar nicht da wärst.” Weitere Favoritinnen auf Medaillen sind die Deutsche Bönisch, die ebenfalls in Filzmosers Pool gelost wurde, und die Spaniern Isabel Fernandez, mit der erst im Finale oder der Hoffnungsrunde ein Aufeinandertreffen möglich ist.
Europameisterin Filzmoser setzt sich nicht unter Druck. “Ich weiß, was 2004 mit Lupo (Anm. Ludwig Paischer) war. “Er war der absolute Favorit, hatte auch die EM gewonnen in dem Jahr, es kann in der ersten Runde vorbei sein, mit dem muss man sich vorher auseinandersetzen. Ich hatte schon oft in meinem Leben so eine Situation gehabt, dass ich so enttäuscht war, und dann nicht gewusst habe in dem Moment, wie es weitergeht. Und wenn du schon was parat hast, und wenn das auch ein paar Tage dauert, dann ist das viel einfacher, mit der Situation umzugehen.”
Auffangbecken möchte sie das nicht nennen. “Ich weiß, man muss fokussiert sein, damit man eine Medaille holt. Im Hinterkopf sind die zielorientierten Gedanken. Aber ich habe ich auch vom Udo (Anm. Trainer Quellmalz) gelernt, dass das Umfeld rundherum passen muss, dass es ohne dem nicht geht. Du musst ausgeglichen sein und bleiben, damit du mit allen Situationen umgehen kannst.”
Die Kraft holt sie sich in der Natur, im Wald, beim Wandern, beim Sporteln. “Meine Eltern haben immer gesagt, draußen spielt sich das Leben ab. Immer wenn es zu stressig wird, wenn die sportlichen Verpflichtungen zu viel werden, dann hat mich das auf den Boden zurückgeholt und geerdet”, erzählte die gegnadete Bodenkämpferin mit diesem einen besonderen Festhaltegriff, aus dem sich vielleicht auch Kye nicht wird befreien können.