Obwohl Zagreb bei der Umsetzung der rund 90.000 EU-Rechtsakte Fortschritte attestiert werden, müssten vor allem im Justizwesen weiteren Kraftanstrengungen zur Umsetzung von EU-Standards vorgenommen werden, so der Tenor einer Diskussionsrunde von Experten über die Rechtsstaatlichkeit Kroatiens am Donnerstagnachmittag, veranstaltet vom Institut für Donauraum und Mitteleuropa (IDM) in Wien.
Kroatien reformiert bereits seit Jahren sein Rechtssystem. Durch die Transformation von einem kommunistischen System, das kein privates Eigentum gekannt hatte, in eine Demokratie haben sich gerade um Eigentumsfrage zahlreiche Streitigkeiten ergeben. Aber auch durch ein ineffizientes Gerichtswesen ist die Zahl der unerledigten Gerichtsverfahren Anfang 2005 auf rund 1,6 Millionen gestiegen. Anfang 2009 sank diese Zahl auf rund 868.000 Fälle, erklärte Marina Dujmovic-Vukovic, Staatssekretärin im kroatischen Justizministerium.
In den vergangenen Jahren ist vor allem die Bekämpfung der Korruption stärker in den Fokus der Regierung aber auch der EU-Kommission gerückt. Laut dem Vorsitzenden des Antikorruptionsrats, Zeljko Jovanovic, kann die neu gegründete Antikorruptionsbehörde USKOK einige Erfolge melden. Im Vorjahr gab es um rund 70 Prozent mehr Anzeigen wegen Korruption. 95 Prozent der rund 700 eingeleiteten Verfahren endeten mit Verurteilungen. “Aber die großen Fische sind noch immer nicht ins Netz gegangen”, so Jovanovic, Mitglied der oppositionellen kroatischen Sozialdemokraten (SDP).
Im Vorjahr hatte Kroatien auf der Korruptionsskala von Transparency International (TI) – von null (sehr korrupt) bis zehn (frei von Korruption) – mit 4,4 Punkte das beste Ergebnis bisher erreicht. Heuer sei das Ziel, eine 5 vor dem Komma zu schaffen, so Jovanovic. Als Hauptursache der ausufernden Korruption im Land bezeichnete er die Privatisierungsprozesse der 90er des vergangenen Jahrhunderts.
Allein im Vorjahr hat Kroatien rund 120 neue Gesetze erlassen, um das kroatische Recht an das Gemeinschaftsrecht anzupassen, berichtete Tomislav Boric, Wirtschafts- und Europarechtler der Universität Graz. Grundsätzlich stehe Kroatien wie auch andere Länder in der Region vor der Herausforderung, ohne jemals Demokratie, einen freien Markt und Rechtsstaatlichkeit gekannt zu haben, nun einen Rechtsstaat zu implementieren. Daher sei viel mehr notwendig, als Gesetze umzusetzen, etwa die rechtsstaatlichen Institutionen mit genügend Mitteln auszustatten oder die Akteure im Rechtssystem besonders auszubilden.
Ein Grundproblem in der gesamten Region in Südosteuropa – angefangen von Slowenien bis hin zu Mazedonien, aber auch in anderen neuen EU-Mitgliedstaaten – sei es, dass nach wie vor das “Primat der Politik vor Recht” gelte, so Boric. Die politischen Einflussmöglichkeiten auf das Rechtssystem sei besonders groß, etwa allein schon durch Verzögerungen von Verfahren, erläuterte der Jurist im Gespräch mit der APA. So können Verfahren in erster Instanz in Kroatien bis zu vier Jahre Dauern. Die Ausschöpfung des Instanzenzuges bis zum Obersten Gerichtshof (OGH) kann bis zu zehn Jahren in Anspruch nehmen.
Allerdings werde auch hier versucht, diesen Tendenzen entgegenzuwirken. So wurde eine Beschwerdemöglichkeit beim Verfassungsgerichtshof gegen zu lang Verfahren eingeführt, die auch eine finanzielle Entschädigung für den Betroffenen vorsehen.
Darüber hinaus kritisierte Boric die Umsetzung des Gemeinschaftsrechts in Detailfragen, die in der Praxis oft zu Chaos führen würden. So wurde 2007 die Novellierung des kroatischen Verbraucherrechts nach EU-Vorgaben vorgenommen. Demnach seien in Kroatien aber staatliche Inspektorate, denen eine juristische Ausbildung fehle, für die Entscheidung von Streitigkeiten im Verbrauchrecht zuständig. In Österreich werden solche Streitigkeiten von unabhängigen Gerichten entschieden.
Christian Mandl von der Wirtschaftskammer Österreich machte darauf aufmerksam, dass die Rechtsstaatlichkeit zwar nicht ein primäres Wettbewerbskriterium sei, aber von den Unternehmen als ein Standortfaktor gewertet werde. Insbesondere die Frage, ob Unternehmen Zahlungen effektiv Eintreiben können, spiele für die Unternehmen bei der Standortwahl eine Rolle.
Kroatien ist im Rahmen der Beitrittsverhandlungen vor kurzem vor der Eröffnung des Kapitals über das Justizwesen gestanden, das Veto Sloweniens Ende 2008 hat aber den Beitrittsprozess vorläufig auf Eis gelegt. Hintergrund ist der Grenzkonflikt zwischen den beiden Ländern um die Adriabucht in Piran.