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Zehnter Jahrestag des NATO-Angriffs auf Serbien

Als die NATO am 24. März 1999 erste Luftangriffe gegen Militärziele in der damaligen Bundesrepublik Jugoslawien (Serbien und Montenegro) unternahm, bedeutete dies auch den Anfang vom Ende für das Regime von Slobodan Milosevic in Belgrad - auch wenn bis zu seinem endgültigen Sturz im Oktober 2000 noch eineinhalb Jahre vergehen sollten. Weitere News: Kosovo-Krieg: Eine Chronologie der Ereignisse

Die Bombardements folgten auf eine Reihe vergeblicher internationaler Bemühungen zur Lösung der Kosovo-Krise.

Die Delegation aus Prishtina (Pristina) unter dem damaligen Kommandanten der Kosovo-Befreiungsarmee (UCK) und heutigem Ministerpräsidenten Hashim Thaci hatte ein Friedensabkommen akzeptiert. Ein letzter Versuch des Balkan-Beauftragten der USA, Richard Holbrooke (heute Sondergesandter für Afghanistan und Pakistan), auch Milosevic zur Annahme des Abkommens von Rambouillet zu bewegen, war aber am Tag davor gescheitert. Der damalige NATO-Generalsekretär Javier Solana erteilte noch am selben Abend in Brüssel den Befehl zum Beginn der Luftangriffe. Einen Tag darauf, kurz vor 20.00 Uhr, wurden im Kosovo, Serbien und Montenegro auch die ersten Militärziele beschossen.

Der eigentliche Auslöser für das Einschreiten der NATO geschah bereits am 15. Jänner jenes Jahres im kosovarischen Dorf Recak (Racak), wo die serbische Polizei einen Tag lang gegen UCK-Leuten kämpfte. Am Tag darauf entdeckten OSZE-Beobachter dort rund 40 Leichen ermordeter Kosovo-Albaner. Eine Gruppe internationaler Gerichtsmediziner, die das Massaker untersuchte, kam zum Schluss: Bei den Opfern handelte es sich um Zivilisten, die aus nächster Nähe erschossen wurden. Belgrad bestritt dies vehement: Es seien UCK-Kämpfer gewesen.

Milosevic galt jahrelang als Politiker, der es verstand, sich Druck nötigenfalls im richtigen Augenblick zu beugen. Beobachter in Belgrad gingen auch im März 1999 davon aus, dass der jugoslawische Präsident kurz vor Beginn der NATO-Angriffe oder spätestens einige Tage später die Forderungen der Staatengemeinschaft akzeptieren würde. Bis es so weit war, dauerte es aber fast 80 Tage.

Die Opferzahlen auf serbischer Seite variieren. Das Milosevic-Regime gab sie 1999 einmal mit 2.000 getöteten Zivilisten und 1.000 Angehörigen der Streitkräfte an. Nun enthüllte Spasoje Smiljanic, einst Befehlshaber der jugoslawischen Luftwaffe, aber: 500 Zivilisten und 271 Angehörige der Sicherheitskräfte seien ums Leben gekommen. Die Sachschäden durch den Krieg bewertete eine Belgrader Expertengruppe mit 30 Milliarden Dollar (23,2 Mrd. Euro). 119 Infrastrukturobjekte wurden zerstört, weitere 907 beschädigt. Auch 25.000 Wohnhäuser wurden in Mitleidenschaft gezogen.

Während der Luftangriffe ging Belgrad daran, das umzusetzen, womit der ultra-nationalistische serbische Vizepremier Vojislav Seselj kurz zuvor im Parlament gedroht hatte: “Kommt es zu NATO-Bombardements werden wir Serben ziemlich leiden, doch im Kosovo wird es keine Albaner mehr geben.” So wurden in den letzten März-Tagen 1999 im Kosovo lange Menschenkolonnen in Richtung Mazedonien und Albanien in Bewegung gesetzt. Rund 800.000 Kosovo-Albaner dürften binnen weniger Wochen aus ihren Heimen vertrieben worden sein. Zehn Jahre nach dem Krieg gelten rund 1.500 weiter als vermisst.

Das UNO-Kriegsverbrechertribunal verurteilte vor einigen Wochen den damaligen jugoslawischen Vizepremier Nikola Sainovic und vier ehemalige Generäle zu Haftstrafen zwischen 15 und 22 Jahren. “Drastisch” sei dies, hieß es dazu in Belgrad, im Vergleich zum Freispruch für den UCK-Befehlshaber Ramush Haradinaj. Vor einem Belgrader Gericht laufen zwei Verfahren gegen mehrere serbische Polizisten wegen Mordes an 14 albanischen Zivilisten in Podujeva (Podujevo) sowie rund 40 Angehörigen einer Familie in Suhareka (Suva Reka). Beide Verbrechen passierten Ende März 1999. Vorige Woche wurden Ermittlungen gegen weitere fünf ehemalige Sonderpolizisten wegen anderer Kriegsverbrechen eingeleitet. Bezüglich Massengräbern mit Leichen von rund 900 Kosovo-Albanern, die 2001 in Serbien entdeckt wurden, gab es bisher keine Anklagen.

Die Bürger Serbiens werden sich mit den im Kosovo begangenen Kriegsverbrechen erst auseinandersetzen müssen. Zehn Jahre nach den Luftangriffen sprechen serbische Nationalisten weiter von den “NATO-Verbrechern” und weisen jede Kriegsschuld von sich. Ein künftiger NATO-Beitritt Serbiens kommt selbst für moderatere Landsleute nicht infrage.

Im Stadtzentrum von Belgrad ragen die Ruinen des ehemaligen Verteidigungsministeriums in den Himmel. Ob das Werk des Architekten Petar Dobrovic je wiederaufgebaut wird, weiß niemand zu sagen. In der ehemaligen “Partijasija”, dem 1961 errichteten Sitz der jugoslawischen Kommunisten und daraufhin der Sozialisten Milosevics, das wiederholt bombardiert wurde, residieren heute westliche Firmen. In Kürze soll ein auf dem ehemaligen Parkplatz des Hochhauses errichtetes Kaufzentrum aufmachen – die erhaltene und die überwundende Vergangenheit begegnen sich in den Bauten am linken Save-Ufer (Sawe-Ufer). Der Abgrund zwischen Belgrad und Prishtina ist aber weiterhin tief.

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