Ein kurz vor der Promotion abgebrochenes Studium, etliche Jobs, drei Ehen und vier Kinder sowie Jahrzehnte im eher verträumten Neuengland ließ Proulx Ende der 1990er zurück, um sich in der Einöde von Wyoming selbst zu finden. Zuvor hatte sie Ratgeber und Kochbücher verfasst, “damit Essen auf den Tisch kam”. Erst als der jüngste Sohn das Haus verließ, wagte sie sich an das Abenteuer Literatur.
Unter dem Titel “Herzenslieder” (Original: “Heart Songs and Other Stories”) stellte Proulx 1988 neun Erzählungen vor, die sich noch vor der Kulisse des ihr vertrauten Neuengland abspielen. Schon das erste Buch erregte Aufsehen. Kritiker lobten den klaren, nüchternen und detailbesessenen Stil der über 50-jährigen Novizin.
Für ihren Debütroman “Postkarten” (1992) wurde Proulx als erster Frau der begehrte PEN/Faulkner-Preis verliehen. In dem Buch lässt Proulx ihren Helden Loyal Blood so konsequent scheitern, dass es schwer fällt, das Buch zu Ende zu lesen. Den noch renommierteren Pulitzer-Preis sowie den National Book Award brachte ihr der nächste Roman ein: In “Schiffsmeldungen” (1994) schildert sie den harten Alltag der Fischer von Neufundland so detailgetreu, als habe sie ihr ganzes Leben im einsamen kanadischen Osten verbracht.
Ihr dritter Roman “Das grüne Akkordeon” hat keine Hauptpersonen mehr, nur das Musikinstrument, das im Lauf eines Jahrhunderts von Hand zu Hand geht und jeden neuen Besitzer in ein anderes Licht rückt. Dem als “Panhandle” bekannten Landstrich in den Ausläufern von Texas und Oklahoma widmete Proulx ihren vierten und vorerst letzten Roman “Mitten in Amerika”, für den sie sich zwei Jahre vor Ort “einlebte”. In dem Buch geht es um das anrüchige Geschäft von Schweinemastbetrieben.
Hollywood setzte zwei Vorlagen von Proulx zu Blockbustern um: “Schiffsmeldungen” und die Kurzgeschichte “Brokeback Mountain”. Der Film um die heimliche Liebe zweier Cowboys gewann drei Oscars. Sein Stoff wird derzeit auch zu einer Oper verarbeitet. Derweil kündigte die Erfolgsautorin an, genug zu haben vom Rummel um ihre Romane. Sie sehne sich oft zurück “nach der Bequemlichkeit der Anonymität, danach, einfach wieder bloß in Ruhe schreiben zu können”.
Mit “Hinterland: Neue Geschichten aus Wyoming” gelang ihr 2005 das nächste Meisterwerk. Zuletzt erschien 2009 der Erzählband “Hier hat’s mir schon immer gefallen”. Proulx entdeckt Schönheit im Verfall und sieht Elend in vermeintlicher Harmonie. “Es ist schwer, den Menschen das begreiflich zu machen. Die meisten wollen es schwarz-weiß, gutes Ende, schlechtes Ende. Aber das Leben ist nicht so. Alles ist grau”, sagte sie einmal.
Nur wenige Schriftsteller verbinden so hohe literarische Ansprüche mit einer so großen Popularität. Proulx sprudelt förmlich über vor Ideen und dem Willen, in gewohnt rauer und lapidarer Sprache möglichst tiefen Einblick in fremde Kulturen, Lebens- und Denkweisen zu bieten. Ihre Spezialität sind Wortkaskaden, die Fragen aufwerfen und Antworten oft schuldig bleiben, sowie Impressionen, die, obwohl nur knapp angerissen, große Sensibilität verraten. Wenn Annie Proulx schreibe, wirbeln “Wörter wie Schüsse aus den Colts eines Banditen”, charakterisierte das US-Magazin “Time” den Stil einmal. (Schluss) aku