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An der ukrainischen Côte d'Azur

Die Halbinsel Krim am Schwarzen Meer zwischen Vergangenheits- und Gegenwartsbewältigung.
Halbinsel Krim

Die Krim ist die Côte d’Azur der Ukraine. Und dort bündelt sich die Geschichte Osteuropas wie sonst nirgendwo. Deshalb wohl ist der Ministerpräsident der Krim, Vasil Dzharty, zuversichtlich, dass die Krim das Potenzial hat, zur Kulturhauptstadt zu werden. Die EU unterstützt die soziale und ökonomische Entwicklung der Halbinsel mit zwölf Millionen Euro. Und die Touristen kommen schon.

Das Höhlenkloster

Das Kirchlein des Höhlenklosters von Bachtschissarai auf der Krim duckt sich fast unterwürfig in die mächtigen Felsen, die für diese Landschaft so typisch sind. Eine drastische Höllenszene am Eingang mahnt zum frommen Lebenswandel. Hinter einem Gitter versteckt sich die Ikone, derentwegen das Kloster erbaut wurde. 20 Mönche leben heute in dem russisch-orthodoxen Kloster, auch junge Männer. Trotz aller Weltabgewandtheit gehören Handy und Laptop inzwischen zum klösterlichen Alltag wie „geschäftliche Angelegenheiten“. Doch an der Landschaft hier um Bachtschissarai, wo die Felsen aussehen wie monumentale Skulpturen und alte Frauen am Straßenrand Beeren und Honig feilbieten, scheint die Zeit kaum Spuren hinterlassen zu haben. In der alten Hauptstadt der Krimtataren fallen schlanke Minarette ins Auge. 300 Jahre lang war Bachtschissarai das Zentrum des Islam in der Ukraine. Im grandiosen Khanpalast, der maurische und russische Stilelemente vereinigt, ist die Tränenfontäne die von den meisten Besuchern umlagerte Sehenswürdigkeit.

Exil-Tataren kamen zurück

Alexander Puschkin, der große russische Dichter, hat dem Brunnen, der den Schmerz um eine tote Geliebte symbolisiert, ein berühmtes Gedicht gewidmet: „Die Fontäne von Bachtschissarai“ – und damit wohl das Überleben dieses schönen Architekturerbes gesichert. Als auf Befehl Stalins 1944 alle Kulturdenkmäler der nach Sibirien deportierten Krim-Tataren zerstört wurden, wagten sich die kommunistischen Bilderstürmer nicht an den von Puschkin verewigten Palast. Inzwischen sind viele der Exil-Tataren wieder zurück in ihrer Heimat. Seit 1988 haben sie die offizielle Erlaubnis dazu, und seit der orangenen Revolution, die sie unterstützt haben, erhoffen sich die mehrheitlich sunnitischen Tataren mehr Rechte. Überall auf der Krim stößt man auf kleine Holzhäuschen, kaum größer als Hundehütten, mit denen Tatarenfamilien ihren Anspruch auf Land anmelden. Die ukrainischen Russen würden die Krim am liebsten wieder unter den Rockschößen von Mütterchen Russland sehen. Das ja noch immer einen Stützpunkt auf der Krim hat – in Sewastopol, dem Sitz der Schwarzmeerflotte. Russische und ukrainische Marinesoldaten schlendern an ihren freien Tagen fast einträchtig über die Uferpromenade. Wer denkt noch an die Zeit, als Sewastopol eine sogenannte geschlossene Stadt war, abgeriegelt von der Außenwelt? Erst seit 1994 ist die nach dem Zweiten Weltkrieg in alter Schönheit wieder auferstandene „Heldenstadt“ frei zugänglich.

Legendäre Konferenz von Jalta

Der „Mantel der Geschichte“ ist auf der Krim an allen Ecken zu spüren. Vor allem in Jalta, dem Ort der Krim-Konferenz, die den Zweiten Weltkrieg beendete. Im Liwadija-Palast, der Sommerresidenz des letzten Zaren Nikolaus II., teilten die damals mächtigsten Männer der Welt, US-Präsident Roosevelt, Sowjet-Diktator Stalin und der britische Premierminister Churchill am Runden Tisch in sieben Tagen die Welt unter sich auf. Jalta hat sich verändert: Am öffentlichen Strand macht sich Souvenirkitsch breit, es gibt Bierkneipen, eine Sushi- Bar und eine Spielhölle. Aus einem Restaurant plärrt ukrainischer Pop, in den Edelboutiquen langweilen sich die bildschönen Verkäuferinnen. Über die Promenade stöckeln junge Frauen auf schwindelerregend hohen Bleistiftabsätzen, am Kieselstrand rösten halbnackte Frauen und Männer in der prallen Sonne.

Kleine Fluchten aus dem Alltag

Hier zeigt man, was man hat und auch das, was man nicht hat. Deshalb haben wohl auch die mobilen Fotostudios großen Zulauf, wo man sich mal schnell in einen Aristokraten verwandeln kann, in eine Prinzessin oder den Zaren – Inszenierung ist alles. Auch nebenan am Motorrad- Stand, wo ein tätowierter Mittfünfziger seinen dicken Bauch in eine Hells-Angels- Kluft zwängt. Solch kleine Fluchten aus dem Alltag kann man sich beim Urlaub auf der Krim schon mal leisten. Das ist auch bitter nötig, wie schon Anton Tschechow wusste. „Eine Krise“, so der Dichter, „kann jeder Idiot haben. Was uns zu schaffen macht, ist der Alltag.“


Die Blütenträume der Revolution sind verweht
Seit 1991 ist die Ukraine ein eigener Staat – mit eigenen Problemen. Doch auch die Blütenträume der orangenen Revolution sind verweht. „Man hat das alte System vernichtet und kein neues geschaffen“, sagt Tatjana verbittert. Die Ukrainer hätten die Nase voll von der Politik. Von der erhofften Aufholjagd auf den Westen haben nur wenige profitiert, und die Weltwirtschaftskrise setzte auch den Oligarchen zu, die bis zu 70 Prozent ihrer Milliardenvermögen einbüßten. Von Milliarden können die normalen Menschen in der Ukraine nur träumen. Bei 400 Euro liegt der Durchschnittsverdienst, Tendenz sinkend. Dafür steigt die Arbeitslosenquote beinahe täglich. Die Wohnungen sind verhältnismäßig preiswert, und die meisten sind privatisiert. Nach der Wende konnten die Mieter ihre Wohnungen für wenig Geld erwerben. Nun sind sie für Erhalt und Instandsetzung verantwortlich – nicht aber für das große Ganze. Deshalb wirken viele der Plattenbauten wie vertikale Flickenteppiche und im Ganzen ziemlich marode.

Ein Besuch im Höhlenkloster
Das Kiewer Höhlenkloster ist eines der ältesten russisch-orthodoxen Klöster der Kiewer Russen. Die nachweislich ältesten Erwähnungen der Höhlen datieren aus dem 12. Jahrhundert n. Chr.

Die Zarenfamilie startete den Tourismus auf der Halbinsel Krim
Im 19. Jahrhundert ließen sich die Zarenfamilie und der russische Hochadel an der Südküste der Krim Sommerresidenzen errichten. Bedeutende Künstler, Schriftsteller und die „Reichen und Schönen“ verbrachten die Sommermonate am Schwarzmeerstrand, manche – wie der Dichter Anton Tschechow – ließen sich aus gesundheitlichen Gründen dort dauerhaft nieder.

REISEINFOS

Anreise: Sinferopol, die Hauptstadt der Ukraine, wird von mehreren deutschen Flughäfen angeflogen, u. a. von Ukraine International. Aktuelle Preise im Reisebüro
Einreise: Für die Einreise nach Jalta ist kein Visum erforderlich. Reisepass genügt. Er sollte allerdings noch ein halbes Jahr Gültigkeit haben.
Wohnen: Das Hotel Jalta ist das größte in und um Jalta mit 2000 Betten: hotel-yalta.com/ de/. Es gibt in Jalta selbst auch noch kleinere Hotels und das Luxushotel Oreanda: www.hotel-oreanda.com.
Veranstalter: Weil die wenigsten Ukrainer Englisch oder gar Deutsch können, ist es sinnvoll, sich einem Veranstalter anzuvertrauen. Dertour ist einer der größten Veranstalter auf der Krim. Die achttägige Reise „Jalta – die Perle der Krim“ wird auch von kleineren Unterveranstaltern gerne übernommen. Infos im Reisebüro oder unter www.dertour.de.

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