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Wo Hannibal noch chancenlos ist

Lebendige Tradition erlebt man bei einem Besuch von Faenza in der Emilia-Romagna.
Faenza in der Emiglia-Romagna

Ganz schön bunt hier: In farbenfrohe und mit Wappen geschmückte Gewänder aus der Renaissance gehüllt gehen Menschen durch die Stadt, als wäre gerade ein öffentliches Kostümfest. Über den Gassen der Altstadt baumeln Hunderte Fähnchen in den Farben der Gewänder. Auch in den Schaufenstern findet sich dieser Farbenschmuck wieder. Und immer wieder erschallt Trommelwirbel. Keine Frage, in Faenza steht etwas Besonderes bevor.

Tradition aus dem Jahr 1414

Schon Tage vor dem großen Ereignis, dem Palio del Niballo, dessen Wurzeln bis zum Jahr 1414 zurückreichen, schmückt sich die Stadt in der Romagna, der kleineren und weit weniger bekannten Hälfte der Emilia-Romagna, und stimmt sich auf das historische Spektakel ein. Es gilt wie in all den Jahren zuvor, den Angreifer Hannibal in die Flucht zu schlagen. Was sich martialisch anhört, ist tatsächlich ein folkloristischer Wettkampf, den die fünf Stadtviertel Faenzas, die Rioni, gegeneinander austragen. Niballo, eine italienische Verballhornung des Namens Hannibal, der die alte Stadt in römischer Zeit belagerte, fungiert heute lediglich als Zielscheibe. „Unser Palio ist lebendiger denn je“, freut sich Giorgio Banchini vom Rione Bianco, dem weißen Viertel. „Auch viele junge Leute aus unserem Stadtteil nehmen an den Umzügen und anderen Aktivitäten rund um den Palio teil, als Musiker und als Fahnenschwenker oder als Kostümschneider und Hutmacher hinter den Kulissen.“ Nein, Touristen kämen kaum, die führen lieber nach Siena, weiß der Rentner, der früher als Kulturbeauftragter des Rione auch Palio-Veranstaltungen koordiniert hat. „Dabei können die bei uns noch was erleben.“

Eine Stadt auf den Beinen

Denn während der Palio in Siena meist schon nach ein paar Minuten vorbei sei, dauere er in Faenza mindestens zwei Stunden – der reine Wettkampf, wohlgemerkt. Am Tag des Palio, dem vierten Sonntag im Juni, ist die ganze Stadt auf den Beinen. Man erkennt die Fans der einzelnen Viertel an ihren auf die Farbe des Rione abgestimmten Kostümen. Mit dem weißen konkurrieren das schwarze, das rote, das grüne und das gelbe Viertel um den Sieg beim Palio. Aber noch geht es friedlich zu. Aus allen Richtungen drängen die Menschen ins historische Zentrum, zur markanten Kathedrale im Stile der Frührenaissance, deren fehlende Marmorverkleidung, auf die man aus Kostengründen nun schon seit fast 500 Jahren verzichtet, sie ungewohnt nüchtern über den kleineren der beiden nebeneinanderliegenden Plätze wachen lässt.

Ritter und schöne Frauen

Langgestreckt mit Palästen und Arkadengängen aus dem 12. und 13. Jahrhundert wirkt der zweite Platz repräsentativer. Hier treffen sich die Abordnungen der Rione, jeweils angeführt von einer Belladonna, einer schönen Frau. Ihr folgt der Ritter, der später für sein Rione um den Sieg kämpfen wird. Beide sind zu Pferd. Nachdem die Fahnenschwenker ihre Kunst gezeigt haben, formiert sich der Festzug. Vasallen präsentieren dem Volk die Trophäen, um die gestritten wird: das Tuch, ein historisches Stoffbanner für den Sieger, ein Schwein und ein Huhn. „Letztere sind heutzutage aus Kunststoff“, fügt Giorgio Banchini hinzu. Im Stadion wird es dann ernst. Hier kämpfen die Ritter im Galopp darum, als Erster eine der beiden lediglich acht Zentimeter großen Zielscheiben auf den nach oben gestreckten Händen der Holzpuppe Niballo mit ihrer Lanze zu treffen. Immer zwei Ritter werfen sich in die Sättel und reiten in mehreren Durchgängen in entgegengesetzter Richtung. Lautes Gejohle der in die Farben der Rioni gehüllten Anhänger feuert sie auf ihrer halsbrecherischen Runde an. Ohne ein hohes Maß an reiterischem Können und Geschicklichkeit ist hier nichts zu holen. „Die fünf Ritter trainieren das ganze Jahr für diesen einen Auftritt“, erzählt Palio-Experte Giorgio nicht ohne Stolz, „es sind alles Amateure.

Tradition und Zusammensein

Am Ende hat der Favorit gewonnen, aber das ist fast nebensächlich. Gesiegt hat wieder einmal die Tradition und das gesellige Zusammensein, denn natürlich treffen sich die Rioni-Bewohner am späteren Abend zum Festessen in ihrem Stadtteil. „Besucher sind willkommen“, lacht Giorgio Banchini. Das Rione Bianco feiere im Innenhof des Klosters der alten Kirche eines Ritterordens. „Hier befindet sich auch unser Palio- Museum“, ruft er im Gehen. Er müsse jetzt zur Preisverleihung zur Kathedrale, „auch wenn wir verloren haben“. Historie gehört in dieser alten Stadt, die auch in anderen Bereichen ihr Erbe pflegt, zum Alltag.

Die Heimat der Fayence: Töpfern hat Tradition
Faenza ist schon seit römischer Zeit die Hauptstadt der Fayence, die jedoch ihren Namen erst in späterer Zeit in Frankreich erhielt. In ihrer romagnolischen Heimat bezeichnet man glasierte Keramik bis heute als Majolika. In über 40 Ateliers in der kleinen Stadt wird sie heute noch hergestellt – mal skulptural, mal als Gebrauchsgegenstand, mal klassisch mit historischen Motiven, mal mit schrillbunten Formen und Farben. Auch eine erfahrene Keramikerin wie Silvana Geminiani liebt den „Kampf mit dem Material“, wie sie es ausdrückt. „Das ist wie eine Droge.“ Vor allem die schwierige Lochtechnik hat es der Künstlerin angetan, bei der die Form zu einem Gittermuster durchstoßen wird. „Mir ist wichtig, dass die Kunden sehen, dass alles mit der Hand hergestellt wird“, sagt die Keramikerin und greift einen feinen Pinsel, um in den Teller, den sie gerade geformt hat, ein kleines Aquarell zu malen. Das Motiv zweier ineinandergreifender Hände, als Zeichen der Freundschaft, ist das Logo der Töpfer aus Faenza. Es hängt an jeder traditionellen Werkstatt. „Bekanntestes Motiv ist aber das Pfauenfedermuster“, erklärt Silvana. Es weise auf die Geliebte eines Stadtregenten aus der Renaissance hin. Die hieß Pfau mit Nachnamen.

 

REISEINFOS

Termin Palio: Der traditionelle Wettkampf aus dem Mittelalter findet 2011 am 26. Juni statt.
Allgemeine Informationen: Im Internet unter www.prolocofaenza.it, www.terredifaenza.it, www.paliodifaenza. it, www.comune.faenza.ra.it oder beim Italienischen Fremdenverkehrsamt, Kärntner Ring 4, 1010 Wien, Tel. 01 5051639.
Restaurant-Tipps: La Marianaza, traditionelle Trattoria mit regionaler Küche. Astorre, schickes Restaurant und coole Weinbar mit Außengastronomie visa- vis der Kathedrale, ausgezeichnete regionale Spezialitäten.
Hotel-Tipp: Hotel Vittoria, Vier-Sterne-Traditionshaus in einem Palazzo in der Altstadt, DZ 90 bis 165 Euro (je nach Saison), www.hotel-vittoria. com.

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