Türkis-Grün ist angezählt

Gemessen an den Erwartungen hat die Tiroler ÖVP bei der nunmehrigen Landtagswahl nicht einmal so schlecht abgeschnitten. Einige Umfragen hatten sie zuletzt bei 25, 26 Prozent gesehen. Geworden sind es deutlich mehr als 30 Prozent. Das ist jedoch relativ. In Wirklichkeit handelt es sich um eine krachende Niederlage: Vor vier Jahren erreichte die Partei 44,3 Prozent, und in den Jahrzehnten davor in der Regel noch viel mehr.
Die zweite (große) Verliererin dieses Urnengangs sind die Grünen, bei denen bei der ersten Hochrechnung eine Schockstarre einsetze: Nicht nur ein Minus, sondern erstmals seit 1999 nur noch ein einstelliger Stimmenanteil (knapp neun Prozent). Das ist jedoch kein Wunder.
In Tirol erzählt man sich die Geschichte, dass sich die ÖVP die Grünen einst unter dem scheidenden Landeshauptmann Günther Platter zur Koalitionspartnerin genommen hat, damit seine alte Volkspartei mit ihnen an ihrer Seite flotter wirkt. Da steckt einiges drinnen: Sie Schwarzen haben sich nie erneuert, sind eher eine behäbige Lobby für Agrargemeinschaften, Hoteliers und Liftbetreiber geblieben, die in der Pandemie schließlich nicht alles richtig, sondern vieles falsch gemacht haben, ohne es einzugestehen; deren Chef, Platter, keine Konsequenzen daraus zog, sondern bis zuletzt geblieben ist, womit sein Nachfolger Anton Mattle als nunmehriger Spitzenkandidat keine Chance hatte, zu zeigen, ob er etwas kann.
Die Grünen sind an der Seite dieser ÖVP ebenfalls alt geworden. Sie waren zu brav und bieder, schluckten allerhand (gerade auch in der Pandemie). Jetzt haben sie die Rechnung dafür bekommen.
Das wird an der Bundespolitik nicht vorübergehen. Dort ist einiges anders, Entscheidendes jedoch ähnlich: Die Volkspartei, die dort türkis ist, befindet sich seit dem Abgang von Sebastian Kurz mehr oder weniger im freien Fall. Karl Nehammer würde bei einer Kanzlerdirektwahl nicht einmal 20 Prozent erreichen. Den Grünen setzt zu, bei diesem Niedergang mit im Boot zu sein und bei diversen Korruptionsaffären nicht die Konsequenzen ziehen zu können, die sie gerne ziehen würden. Die ÖVP blockiert selbst strengere Strafbestimmungen und Transparenz für eine (möglichst) saubere Zukunft.
Schlimmer: Bei der Teuerung, dem Thema, das die meisten Leute bewegt, haben beide zusammen keine Antworten, die eine Mehrheit überzeugen. Das zu bewerkstelligen ist schwer, es liegt aber auch ein türkis-grünes Kommunikationsversagen vor.
Diese Koalition wird es kaum noch lange geben: Das Tirol-Wahlergebnis muss auch der niederösterreichischen Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) zu denken geben. Wenn es so weitergeht, läuft sie bei „ihrer“ Landtagswahl spätestens Anfang 2023 ebenfalls in eine krachende Niederlage hinaus. Es liegt in der Natur der Sache, dass sie versuchen wird, das zu verhindern.
Nahmmer ist von ihr bereits öffentlich ermahnt worden, einen besseren Job zu machen. Geliefert hat er nicht. Aus Mikl-Leitners Sicht muss das Problem Bundesebene gelöst werden. Durch eine baldige Neuwahl zum Nationalrat mit einem Spitzenkandidaten, der nicht Nehammer heißt, zum Beispiel. So weitergehen, kann es jedenfalls nicht. Was indirekt bedeutet, dass auch Grünen-Chef Werner Kogler damit rechnen muss, seinen Job (Vizekanzler) bald zu verlieren.
Zurück nach Tirol und den bundespolitischen Folgen: Der Höhenflug der SPÖ neigt sich möglicherweise dem Ende zu, die FPÖ ist im Kommen. Die selbsterkannte Kanzlerkandidatin Pamela Rendi-Wagner muss sich auf ein Duell mit Herbert Kickl gefasst machen. In Tirol ist es für die Genossen bitter, die Freiheitlichen nicht (klar) hinter sich gelassen zu haben; diese haben deutlich stärker gewonnen als sie. Auf Bundesebene ist der Abstand noch größer, seit geraumer Zeit geht es aber auch in diese Richtung.
Die Neos haben weniger zugelegt als erwartet. Vielleicht sind sie untergegangen. Ganz sicher ist das die impfgegnerische MFG, die den Einzug in den Landtag verfehlt haben dürfte. Fast unter geht außerhalb des Landes wiederum der Triumpf der Liste Fritz, einer sozialpolitisch orientierten Partei. Sie geht auf einen Ex-ÖVP-Politiker zurück, hat traditionell aber auch der SPÖ wehgetan. Auch das ist übrigens ein Warnsignal für diese – und zwar auf Bundesebene: Eine engagierte Linke könnte ihr Stimmen kosten. Nicht wenigen Genossen lässt Rendi-Wagner diesbezüglich eine Kante vermissen.
Johannes Huber betreibt den Blog dieSubstanz.at – Analysen und Hintergründe zur Politik