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„Wir lassen sie verhungern! ...

Jean Ziegler hat sich dem Kampf gegen den Hunger - und dessen Verursacher - verschrieben.
Jean Ziegler hat sich dem Kampf gegen den Hunger - und dessen Verursacher - verschrieben. ©EPA
... – Die Massenvernichtung in der Dritten Welt“ (Bertelsmann). Der Soziologe und Aktivist für das „Menschenrecht auf Nahrung“, Jean Ziegler, nennt in seinem neuen Buch einmal mehr die Verursacher des Welthungers („Hungermacher“ und „Raubgesindel“) beim Namen!

Der Hunger ist ein von Menschen organisiertes Verbrechen – er kann aber auch von Menschen besiegt werden! In der Bibel steht: „Der Arme hat nichts denn ein wenig Brot; wer ihn darum bringt, der ist ein Mörder. Wer einem seine Nahrung nimmt, der tötet seinen Nächsten.“ Eine Milliarde Menschen hungert, hunderte Millionen Kinder sterben elend an den Folgen des Hungers. Ihr Todeskampf ist furchtbar, der Körper verbraucht seine Reserven an Zucker und Fett, sie werden lethargisch, verlieren Gewicht, das Immunsystem bricht zusammen, Durchfälle beschleunigen die Auszehrung, Mundparasiten (Noma u.a.) und Infektionen der Atemwege verursachen schreckliche Schmerzen, der Raubbau an den Muskeln beginnt, sie brechen zusammen und rollen sich wie kleine Tiere in den Staub, ihre Gesichter gleichen Greisen, dann sterben sie. Gehirnzellen bilden sich bis zum fünften Lebensjahr, ohne ausreichende Nahrung bleibt das Kind sein Leben lang behindert.

Mit Tigerhaien, …

… die einen in 4,600.000 Litern Wasser aufgelösten Tropfen Blut aufspüren, vergleicht Jean Ziegler die Nahrungsmittelspekulanten in ihrer Gefräßigkeit und unersättlichen Profitgier. Die wahren Schuldigen sind die Spekulanten, die Manager der Hedge Fonds, die noblen Großbankiers und andere Raubritter des globalisierten Finanzkapitals, die aus Profitsucht und persönlichem Gewinnstreben, aber auch einer gehörigen Portion Zynismus das Weltfinanzsystem ruiniert und in ihrem Spekulationswahn den westlichen Industriestaaten 2008/09 Vermögenswerte von 8900 Milliarden Dollar vernichtet haben. Und die westlichen Staaten schütteten Tausende von Milliarden aus, um ihren kriminellen Bankern wieder auf die Beine zu helfen. Die Feinde des „Rechts auf Nahrung“ sind die transkontinentalen Privatkonzerne wie Aventis, Monsanto, Cargill, Pioneer und Syngenta, die direkt oder indirekt den größten Teil des Weltagrarhandels kontrollieren. Ihre Geschäftsmaxime ist die Profitmaximierung, sie machen astronomische Gewinne und verfügen über weit größere Finanzmittel als die meisten Staaten, in denen sie ihren Sitz haben. De facto haben diese Kraken ein Monopol auf die gesamte Nahrungskette (vom Saatgut über Düngemittel und Pestizide, von der Erzeugung über den Transport, Silohaltung, Verarbeitung und Vermarktung bis hin zum Einzelvertrieb) – was die Wahlmöglichkeit der Erzeuger und Verbraucher erheblich einschränkt. Sie üben Einfluss und Druck aus auf die Politik internationaler Organisationen und fast alle westlichen Regierungen. Und die drei „apokalyptischen Reiter des Hungers“ sind die Organisationen WTO (Pascal Lamy), IWF (Christine Lagarde) und die Weltbank (Jim Yong Kim), die de facto das Land-Grabbing in Afrika, Asien und Lateinamerika finanziert. Diese drei Technokraten agieren im Geschäftsleben ohne den Luxus von Gefühlen und besitzen gemeinsam ungeheure Macht über die Völker, die zu den schwächsten unseres Planeten zählen.

Agrotreibstoffe …

… verursachen soziale und klimatische Katastrophen. Sie nehmen dem Lebensmittelanbau die Flächen, sie vernichten bäuerliche Familienbetriebe und verstärken den Hunger in der Welt. Bei ihrer Produktion werden große Mengen Kohlendioxid in die Atmosphäre ausgestoßen und ein hohes Maß an Trinkwasser verbraucht. Es ist keine Frage, dass der fossile Energieverbrauch rasch und massiv verringert werden muss. Agrotreibstoffe bringen keine Lösung! Das Energiesparen und saubere Energiealternativen wie Windkraft und Solarenergie sind eine Lösung! Der Tank eines mit Bioethanol betriebenen Mittelklassewagens fasst 50 Liter. Zur Herstellung dieser 50 Liter müssen 358 Kilogramm Mais vernichtet werden. Mit diesem Grundnahrungsmittel Mais könnte ein sambisches oder mexikanisches Kind ein Jahr lang leben.

Der Kopf des Monsters

In Genf ist die Bankenlobby allmächtig. Dieses Steuerparadies schirmt die Vermögen der Mächtigen dieser Welt gegen alle Unbilden ab. Seit 2009 ist Genf die Welthauptstadt der Spekulation – vor allem auf die Rohstoffe des Agrar- und Lebensmittelmarktes. Auf diesem Sektor hat sie inzwischen die City von London entthront. 2009 hat Premierminister Gordon Brown strenge Maßnahmen gegen die Boni, Stock-Optionen, Prämien und andere völlig überzogene Einkünfte der Hedgefondsmanager ergriffen: Wer ein Jahreseinkommen von über 200.000 Pfund bezieht, zahlt auf alle Mehreinnahmen 50 Prozent Steuern. Zahlreiche Hedgefonds zogen um nach Genf. Und immer noch erweisen sich die Länder des G8-G20 als fulminante Heuchler, die öffentlich anprangern, was sie insgeheim schützen … Der Versuch einer Reglementierung scheitert an der Allmacht der Bankenlobby. „Du musst in der Schweiz bleiben, hier sitzt der Kopf des Monsters“, sagte mir Che Guevara, und: „Die stärksten Mauern fallen durch ihre Risse“. 2001 belief sich die Zahl der Dollarmilliardäre auf 497 und ihr kumuliertes Vermögen auf 1,5 Billionen Dollar. Zehn Jahre später hatte sich ihre Zahl auf 1210 und ihr kumulatives Vermögen auf 4,5 Billionen Dollar erhöht. Der Zusammenbruch der Finanzmärkte 2007/08 hat die Existenz vieler Millionen Familien in Europa, Nordamerika und Japan vernichtet. Zusätzlich sind 69 Millionen Menschen im Elend des Hungers versunken. Im Süden türmen sich die Leichenberge. 2010 hatte das Vermögen der Superreichen jenes Niveau überschritten, das ihr Reichtum drei Jahre vor dem Zusammenbruch der Finanzmärkte hatte. Ein paar transkontinentale Konzerne sind die Herren des Agrar- und Lebensmittelmarktes und bestimmen über die Ernährung der Menschen, sie beherrschen diesen Markt und entscheiden jeden Tag wer lebt und wer stirbt.

Wie erschlagen wir das Ungeheuer?

Wie können wir der Unvernunft der „Hungermacher“ ein Ende setzen? Indem wir gegen den Sittenverfall der Führungseliten in vielen Ländern des Südens kämpfen – gegen ihre Bestechlichkeit und die Besessenheit, an ihren Machtpositionen zu kleben mit Aussicht auf die Reichtümer, die die Konzerne ihnen versprechen. Die Unterschlagung öffentlicher Gelder und die Bereicherung der Regierenden sind ein großes Unglück für die Völker. Wo die Käuflichkeit grassiert, werden die Ackerflächen den Oligarchen des globalisierten Finanzkapitals preisgegeben, die über Millionen Leichen gehen. Doch es gibt Hoffnung. Vorsätzlich totgeschwiegen von der öffentlichen Meinung des Westens erwachen in der ländlichen Bevölkerung des Südens vor aller Augen revolutionäre Kräfte. Zusammenschlüsse von Landwirten und Viehzüchtern kämpfen gegen die Geier des „grünen Goldes“ und die Spekulanten, die ihnen ihr Land stehlen. Zugleich verweigern immer mehr Menschen im Herzen der Herrschaftsgesellschaften den neoliberalen Wahnideen ihre Gefolgschaft und stellen sich der kannibalischen Weltordnung entgegen. Die vielen hundert Millionen Menschen, die sich der Vernichtung durch Hunger ausgeliefert sehen, sind auf unser aller Solidarität angewiesen. Stoppen wir das „Massaker Hunger“ jetzt!

(Wann&Wo/Verena und Miro Daum-Kuzmanovic)

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