VN: Thomas Manns Roman Buddenbrooks ist ein Riesending. Wann kamen Sie damit in Berührung? Barylli: Im Alter von siebzehn Jahren.
VN: Welchen Eindruck haben Sie gewonnen? Barylli: Den Eindruck, den wir jetzt bei den Proben haben. Das ist eine kalte, harte, entmenschte, grausame, jede Zärtlichkeit, jede Liebesmöglichkeit zerstörende Familie. Es ist ein schwerer Weg, sich das als Schauspieler zu erobern, diese ausschließliche Orientierung auf Macht und Geld, aber ich glaube, wir sind da weit gekommen.
VN: Mag man das überhaupt spielen? Barylli: Ja. Man mag es nicht, aber man mag es sehr gerne spielen.
VN: Warum? Barylli: Ich habe immer eine gewisse Hoffnung, dass die Menschen mit einem Gedanken hinausgehen. Ich würde mir wünschen, dass die Leute sich sagen, das kann es nicht sein, dass es nur um Geld geht, nur um Macht, um den Verrat der eigenen Tochter, der eigenen Schwester zugunsten einer Firmenentwicklung. Gerade wenn man sehr viel Kälte und Grausamkeit zeigt, hoffe und glaube ich, dass sich viele Menschen konkret sagen, so will ich nicht leben.
VN: Theaterautor John von Düffel hat Manns Sprache nicht verändert, musste aber logischerweise komprimieren. Wie beurteilen Sie die Fassung? Barylli: Ich sage es auch als Autor, der Kollege hat einen Glücksmoment erwischt in seinem Leben, es ist ihm gelungen, nicht nur eine Verdichtung, sondern eine Verschärfung zu erreichen, er hat der Versuchung widerstanden, so viel wie möglich vom Roman zu zeigen. Wenn man den Roman nicht kennen würde, wäre das ein Theaterstück von einer unglaublichen Modernität und Schnelligkeit, von einer Kühnheit, Figuren in einer Szene zu behaupten und im nächsten Moment das Scheitern zu zeigen.
VN: Es gibt eine Sichtweise, die Geschichte der Buddenbrooks etwas auf die der Manns zu beziehen. Barylli: Wir haben beschlossen, das alles zu vergessen. Man kann nicht den gesamten Kulturhintergrund mitnehmen, sonst wird man ein Botschafter der Literatur. Wir sind ein Ensemble, das Menschensituationen transportiert.
VN: Welche Bedeutung hat Thomas Mann für Sie als Figur der Literatur? Barylli: Bei dem, was Mann erlebt hat, wäre er verrückt geworden, wenn er nicht das Schreiben gehabt hätte. Das merkt man seinem Werk an. Er hat versucht, sein seelisches Überleben durch das Schreiben zu inszenieren.
VN: Welche Bedeutung hat das Schreiben für Sie? Barylli: Schreiben ist ein Sich-Raum-und-Luft-Schaffen im Herzen, seine Hoffnung dingfest machen und im besten Fall mit jemandem, der den Text gelesen hat, zu kommunizieren. Das Schönste am Schreiben ist, aus der Einsamkeit heraus wieder in Kommunikation zu treten.
VN: Und das Schauspielen? Barylli: Ein pures Geschenk. Wo in unserer Gesellschaft haben wir schon die Erlaubnis, uns mit unseren Gefühlen zu beschäftigen. Wie wir das bei den Buddenbrooks lernen, ist das Interesse für das eigene Innenleben ja berufsschädigend. Dieser Beruf erlaubt genau das Gegenteil.
VN: So gesehen haben Sie das Richtige gewählt. Barylli: Ich bin vom Richtigen gewählt worden, man weiß erst viel später, was man für ein Glück hatte.