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Wiener Festwochen: Improvisierte Musik zu Stummfilmdoku

Tanya Tagaq improvisierte mit ihrem Gesang bei der Stummfilmdoku.
Tanya Tagaq improvisierte mit ihrem Gesang bei der Stummfilmdoku. ©APA/HANS PUNZ
Die kanadische Sängerin Tanya Tagaq hat am Dienstag auf den Wiener Festwochen den Inuit-Dokumentarfilm "Nanook of the North" musikalisch, mit ihrer Interpretation vom traditionallen Kehlkopfgesang der Inuit, begleitet.
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Robert J. Flahertys 1922 gedrehter Film “Nanook of the North” (deutscher Titel: “Nanuk, der Eskimo”) bediene die “größten Stereotypen”, erklärte Tagaq, selbst Inuit, vor Beginn der Performance im Rahmen der Wiener Festwochen dem Publikum. “Wir sind eine tiefe, intelligente und großzügige Kultur und keine glücklichen, dummen, kleinen Leute”, sagte sie mit Verweis auf den Film, der die Inuit mit einem nostalgisch-kolonialen Blick betrachte. Flaherty habe viele Szenen des Dokumentarfilms inszeniert, sodass beispielsweise die Inuit mit den damals bereits veralteten Harpunen jagen. Für den Film sei auch ein lediglich halbes Iglu gebaut worden, um dessen Innenleben besser belichten zu können.

Doch obwohl “Nanook of the North” über weite Strecken inszeniert ist, zeigt er auch zeitlose Realitäten des Lebens am Polarkreis, die durch die atmosphärische Musik von Tagaqs Gruppe hervorgehoben wurden: Die schweren Lebensumstände, allen voran die Nahrungsmittelknappheit und die brutale Ruhe der Einsamkeit in den Eiswüsten des polaren Winters, wurden eindrucksvoll untermalt.

Improvisierter Kehlkopfgesang

Tagaqs improvisierter Gesang, der von dem Violinisten Jesse Zubot und dem Schlagzeuger Jean Martin begleitet wurde, sei zwar vom Inuit-Kehlkopfgesang inspiriert, jedoch “in keinster Weise traditionell”. Ihre kraftvolle Stimme, mit der sie die Zuschauer mit der lebensfeindlichen polaren Umgebung konfrontierte, schwankte zwischen klarem Gesang, kindlichem, geflüsterten Keuchen und beängstigendem Schreien und reichte von höchsten Tönen bis ins Gutturale.

Tagaqs Stimme wirkte zeitweise beinahe jenseitig und wurde teilweise durch Echoeffekte und elektronische Verzerrungen noch weiter entfremdet. Ihr Gesang klagte einerseits wütend die Klischees im Film an und lachte sie andererseits aus. Martins Schlagzeug hämmerte, untermalte, und verarbeitete traditionelle Percussion, Zubots E-Geige schuf mit messerscharfen, kratzenden und lang gezogenen Tönen eine eisige Atmosphäre, die im Kontrast zu dem im Zwischentitel des Films als “unbekümmert” beschriebenen Leben der Inuit am Polarkreis stand.

Melancholisch statt niedlich

Die humorvollen und verniedlichenden Aspekte des Films gingen durch die Klangwelt der drei Musiker weitestgehend verloren und wichen einer melancholischen Ernsthaftigkeit, die nur selten durch fröhliche Melodien und Rhythmen unterbrochen wurde. Die Violine erinnerte jedoch stets mit ihren kalten Tönen an die lebensfeindliche Umgebung der gefilmten Personen, die durch den hohen Kontrast des Schwarz-Weiß-Films oft auf schwarze Schemen im Eis reduziert sind und durch die Musik plötzlich unwirklich und beinahe albtraumhaft wirkten.

“Indigene Kulturen sind nicht in der Vergangenheit eingefroren”, betonte Tagaq, die sich auch sozial und politisch engagiert. Mit ihrer Performance konnte sie dies eindrucksvoll beweisen, denn sie schlug eine Brücke zwischen nostalgischen Klischees und moderner, atmosphärischer Musik mit elektronischen Einflüssen, um die zeitlosen alltäglichen Anstrengungen der Inuit zu illustrieren. Das Publikum war von ihrer emotionalen Darbietung begeistert und der eine oder andere Zuschauer wird wohl auch heute, Mittwoch, Tagaqs Konzert “Retribution” in der Halle G im Museumsquartier besuchen.

APA/red

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