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Zu Tode geschütteltes Baby: Jahrelange Haft für Vater und Mutter

Der Vater wurde zu 17 Jahren Haft verurteilt. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.
Der Vater wurde zu 17 Jahren Haft verurteilt. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. ©APA/STEFAN SOMWEBER (Symbolbild)
Am Montagabend ist es am Wiener Landesgericht in einem Prozess um ein laut Anklage vom Vater vorsätzlich zu Tode geschütteltes Baby zu Urteilen gekommen. Diese sind allerdings nicht rechtskräftig.
Mann und Frau mussten sich verantworten
Baby in Spital verstorben

Der 32 Jahre alte Vater wurde mit 6:2 Stimmen wegen Mordes an seiner elf Wochen alten Tochter zu 17 Jahren Haft verurteilt. Die um neun Jahre jüngere Mutter, der Mord durch Unterlassung vorgeworfen worden war, wurde von den Geschworenen sogar einstimmig im Sinne der Anklage schuldig erkannt. Sie bekam 14 Jahre Haft.

Vater: Einweisung in Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher

Das Schwurgericht wies den Vater zusätzlich in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher ein. Nach Rücksprache mit seiner Verteidigerin Christa Scheimpflug akzeptierte der 32-Jährige das Urteil und suchte um Verbüßung seiner Strafe im Maßnahmenvollzug in der Justizanstalt Mittersteig an. Der Verteidiger der Mutter, Timo Gerersdorfer, ersuchte um Bedenkzeit. Staatsanwältin Anna-Maria Wukovits gab zu beiden Urteilen keine Erklärung ab. Sie sind daher nicht rechtskräftig.

Beide Angeklagte - der Vater hatte in der zweitägigen Verhandlung dreimaliges Schütteln des Babys zugegeben, aber den Tötungsvorsatz bestritten, die Mutter entgegen ihrer Darstellung vor der Polizei und der Haft- und Rechtsschutzrichterin geleugnet, die Gewalttätigkeiten ihres Partners gesehen zu haben - verfolgten die Urteilsverkündung emotionslos und blieben auch ruhig, als die vorsitzende Richterin das Strafausmaß bekannt gab. Bei einer Strafdrohung von zehn bis 20 Jahren oder lebenslang setzte es für beide trotz bisheriger Unbescholtenheit Sanktionen im oberen bzw. mittleren Bereich des Strafrahmens.

"Kinder sind nicht zu schütteln"

Beim Vater fielen die qualvolle Begehung, die Hilflosigkeit des Opfers sowie "die außerordentlich hohe Gewalt" erschwerend ins Gewicht, wie Richterin Nicole Baczak erläuterte: "Kinder sind nicht zu schütteln. Genau das soll diese Strafe bedeuten." In Richtung der Mutter bemerkte Baczak, die verhängte Strafe sei aus generalpräventiven Gründen nötig, um klar zu machen, "dass Mütter, wenn sie von Misshandlungen ihrer Kinder erfahren, einschreiten müssen".

"Ich hätt's nicht tun sollen", hatte der 32-Jährige zu Beginn des zweiten Verhandlungstags im Großen Schwurgerichtssaal geschluchzt, "es vergeht kein Tag, an dem ich mir nicht Vorwürfe mache. Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht die Zeit zurückdrehen möchte. Ich hab' sie geliebt." Er habe nach der Geburt der Tochter diese drei Mal geschüttelt, weil sie weinte und er sie beruhigen habe wollen. Beim dritten Mal - am 4. Juni 2021 - sei er heftiger als die beiden vorangegangenen Male vorgegangen: "Deshalb wird's wahrscheinlich auch so rausgekommen sein, dass sie Schäden erlitten hat."

Baby starb laut Anklage im Juni auf Intensivstation von Wiener Spital

Laut Anklage starb das Baby am 12. Juni auf der Intensivstation eines Wiener Spitals an einer traumabedingten Sauerstoffunterversorgung des Hirns. Die Wachstumsfuge war eingerissen, die Hirnverletzungen waren irreparabel. Gerichtsmediziner Nikolaus Klupp hatte beim Prozessauftakt am vergangenen Mittwoch dazu erklärt, ein jeweils fünf bis zehn Sekunden langes, zehn bis 30-maliges Schütteln - laut Klupp ein "körperlich anstrengender" Vorgang - sei Voraussetzung für ein Schüttel-Trauma.

Die 23-jährige Mutter hatte laut nicht rechtskräftigem Urteil weggeschaut, obwohl sie das Schütteln mitbekam. Wie die Richterin in der Urteilsverkündung erklärte, wäre sie verpflichtet gewesen, "etwas zu tun" und hätte "die Kriminalpolizei, die Rettung oder das Jugendamt anrufen müssen".

Ihr Ex-Partner hatte sie in der Verhandlung insofern belastet, als er angab, sie habe beim dritten Mal "die letzten zwei Sekunden gesehen". Er wolle aber nicht, "dass sie büßen muss", weil sie "nichts getan" habe.

"Außer dem Schütteln habe ich meiner Tochter nichts angetan"

"Außer dem Schütteln habe ich meiner Tochter nichts angetan", gab der Vater zu seinem eigenen Verhalten an. Und weiter: "Andere Sachen habe ich bei ihr nicht gemacht. Würde ich auch nie." Er habe der Kleinen "nicht absichtlich" wehgetan, denn er habe "sonst alles gemacht, dass es ihr gut geht", bekräftigte er: "Ich hab' sie oft gefüttert, genommen, gewickelt, geschaut, dass sie ihre Vitamin D-Tropfen bekommt." Er habe "immer Papa werden" wollen, "deswegen ist das so schrecklich".

Der Vater befand sich seit 2007 in psychiatrischer Behandlung. "Ich hab' eine Angststörung. Ich hab' öfters Panikattacken. Ich hab' eine emotionale Persönlichkeitsstörung. Borderline, was zu Selbstverletzungen führt. Des öfteren Depressionen. ADHS", zählte der 32 -Jährige den Geschworenen seine Diagnosen auf. Er nehme täglich "sehr viele Medikamente. Neun, zehn". Außerdem konsumiere er "leider Alkohol", sei spielsüchtig und habe mehrere Selbstmordversuche unternommen: "Aus Verzweiflung, wenn niemand da ist und mir hilft, verletze ich mich." Der Alkohol bewirke, dass seine grundsätzliche Ungeduld zunehme. Zum Zeitpunkt des letztmaligen Schüttelns seiner Tochter sei er alkoholisiert gewesen, räumte der Angeklagte ein.

Antrag auf Einweisung in Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher

Die Staatsanwaltschaft hatte zusätzlich die Einweisung des an sich zurechnungsfähigen Mannes in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher beantragt. Einem Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen Siegfried Schranz zufolge weist der 32-Jährige nämlich derart gravierende psychische Auffälligkeiten auf, dass ohne haftbegleitende therapeutische Maßnahmen neuerliche Straftaten mit schweren Folgen zu befürchten sind.

Konkret erwähnte Schranz bei seiner mündlichen Gutachtenserstattung in diesem Zusammenhang schwere Körperverletzungen. Die aus der Vielzahl seiner psychischen Auffälligkeiten - darunter eine emotional-instabile Persönlichkeitsstörung - resultierende "Gemengelage" mache den Angeklagten gefährlich, seine Impulskontrolle sei stark herabgesetzt, legte Schranz den Geschworenen dar. Der Mann falle in die Kategorie jener Straftäter, bei denen statistisch betrachtet mit einer Wahrscheinlichkeit von 48 Prozent mit einem Rückfall binnen zehn Jahren zu rechnen ist. Eine Therapie - der 32-Jährige steht bereits in psychiatrischer Behandlung - sei "unbedingt erforderlich, wahrscheinlich zu intensivieren", sagte Schranz. Deswegen sei im Fall einer Verurteilung die Unterbringung im Maßnahmenvollzug zu befürworten.

"Sie kann zwischen Recht und Unrecht unterscheiden"

Zur Mutter stellte der Gerichtspsychiater fest, bei dieser sei ebenfalls Zurechnungsfähigkeit gegeben, die Voraussetzungen einer Einweisung aufgrund einer höhergradigen geistig-seelischen Abartigkeit lägen nicht vor. Die Frau liege in intellektueller Hinsicht im unteren Bereich, sei aber nicht minderbegabt: "Sie kann zwischen Recht und Unrecht unterscheiden und dementsprechend handeln." Es sei bei ihr weiters "keine verminderte Steuerungsfähigkeit" festzustellen.

Schranz berichtete außerdem, die 23-Jährige hätte ihm bei seiner Begutachtung gezeigt, wie der Vater das Baby geschüttelt habe. "Sie war durchaus in der Lage, das genau zu zeigen", hielt der Sachverständige fest.

(APA/Red)

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