Es muss zack, zack gehen. Auch wenn das beim Essen bekanntlich ungesund ist. Am Nachmittag dieses gleißend schönen Sommertags steht noch ein halbes Dutzend Interviews, Meetings, Fototermine an. Jetzt müssen Judith Holofernes und Jean-Michel Tourette, Sängerin bzw. Tastenmann des deutschen Popwunders Wir sind Helden, aber mal Futter ausfassen. Zärtlich weichgeklopftes Fleisch. Ob vom Rind oder Schwein, würde eine – unterbliebene – Nachfrage erfordern. Schnitzel also. Mit Erdäpfelsalat. Für beide.
Babys an Bord!
“Oh nein, das ist kein Österreich-Klischee. Das schmeckt hier einfach wunderbar”, lacht Judith. “Hier” bedeutet: im Gastgarten des Glacis Beisl im Wiener Museumsquartier. Das laubenartige Idyll wird von der lautstarken Anwesenheit von Plattenfirmenbetreuerinnen, Tourmanagern und Pressemenschen kaum gestört. Von vereinzelten anonymen Gästen, die dann und wann herüberblinzeln, schon gar nicht. Judith stößt erst etwas später zum Mittagstisch. Derweil kann Jean-Michel von einschneidenden Erfahrungen berichten, die er mit seiner prominenten Kollegin teilt.
Und die beiden einen knapp dreijährigen Abschied vom Musikzirkus relativ leicht gemacht haben: Nachwuchs! Im Hause Holofernes – die Vaterrolle nimmt hier der Schlagzeuger der Band, Sebastian “Pola” Roy, ein – ist es bereits das zweite Kind; bei Jean-Michel ist es ein Debüt. “Wir haben ein halbes Jahr Pause gemacht. Und danach noch ein halbes, weil dann Judith dran war mit Kinderkriegen. Und so ging das dahin. Es war angenehm, wichtig und gut so. Wir wollten nicht gleich wieder in diese Mühle hineingeraten.”
Gekommen um zu bleiben
Tja, aber was hat die Plattenfirma dazu gesagt? “Wir haben gerade unser Label gewechselt. Also ging das klar.” Eine derart entschleunigte Karriereplanung ist im Popgeschäft aber dennoch wohl eher die Ausnahme als die Regel. “Ach was, Lily Allen hat sich auch gerade fünf Jahre Babypause vorgenommen”, kontert Jean-Michel. Da biegt auch schon Judith um die Ecke und schleudert mit einem selbstbewussten Grinsen weitere Namen auf den Tisch. “Oder Patti Smith! Die hat gleich neun Jahre keine Gitarre angegriffen.”
die Messer und Gabeln klappern, die Schnitzel werden flugs kleiner. Judith kichert. “Schreib auf: Wir sind Helden werden dick!” Stimmt nur nicht. Die zwei Helden sitzen adrett, rank und (im Falle Judiths mehr, im Falle Jean-Michels weniger) weitgehend schlank da wie vor Jahren, als ich sie kennenlernen durfte – als eine der erfreulichsten Ausnahmeerscheinungen der deutschsprachigen Pop-Landschaft.
Von der Straße an die Chartspitze
Anfang der Nullerjahre war Judith Holofernes noch als Straßensängerin in ihrer Heimatstadt Berlin unterwegs. Bei einem Musikkurs in Hamburg lernte die beherzte Song- und Textschmiedin ihre zukünftigen Mitstreiter kennen. Harald Schmidt lud sie in seine Late-Night-TV-Show ein, noch bevor ein Vertrag unterschrieben war. 2003 erschien dann das Helden-Debütalbum “Die Reklamation” und katapultierte das Quartett, das sich kokett nach dem David-Bowie-Song “Heroes” benannt hatte, aus dem absoluten Newcomerstatus in die vordersten Chartsränge.
Und das nicht nur in Deutschland, sondern auch hierzulande. Hits wie “Guten Tag (ich will mein Leben zurück)”, “Denkmal”, “Gekommen, um zu bleiben” oder “Nur ein Wort” gehören seitdem zum Ö3 Stammrepertoire, laufen aber auch auf Alternativsendern wie FM4. “Die haben uns von Anfang an unterstützt. Ihr habt eine tolle Radiolandschaft hier, muss man schon sagen”, wirft Judith in die Runde. “Nur dieses Entweder oder, zu dem viele Sender neigen – hier Kommerz, da gute Musik, nichts dazwischen – ist total nervig.” D’accord.
(Seitenblicke Magazin/foto: Kerstin Anders)