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Zeitzeuge Zwi Nigal erinnert Wiener Gymnasiasten an Ereignisse im Jahr 1938

Vor zahlreichen Schülern schilderte der 95-Jährige seine Erlebnisse.
Vor zahlreichen Schülern schilderte der 95-Jährige seine Erlebnisse. ©APA/HERBERT PFARRHOFER
Wie wichtig Zeitzeugen sind, wurde am Donnerstag wohl zahlreichen Wiener Schülern bewusst: Zwi Nigal, ein Überlebender der Shoah, erinnerte an die Ereignisse, die ihn 1938 zur Flucht nach Palästina zwangen.

Gelegenheiten wie diese werden österreichische Schüler nicht mehr so oft bekommen: Am Donnerstag fanden zeitgleich an 20 Wiener Schulen Zeitzeugengespräche mit in Österreich geborenen Überlebenden der Shoah statt. Einer von ihnen, Zwi Nigal (95), kehrte dazu in seine ehemalige Schule zurück. Im Gymnasium Zirkusgasse erinnerte an die Ereignisse, die ihn zur Flucht nach Palästina zwangen.

“Da habe ich mir gedacht: Nie wieder Österreich”

Zunächst die Segregation in den Schulklassen zwischen Juden und Nicht-Juden nach dem “Anschluss” im März 1938, die täglichen Schikanen und Spießrutenläufe und schließlich jenes Ereignis im Dezember 1938, nachdem sich der damals 15-Jährige gesagt habe: “Nie wieder Österreich.” Eine Frau sei damals in ihre Wohnung in die Große Stadtgutgasse im Zweiten Wiener Gemeindebezirk gekommen und habe die Wohnung für sich reklamiert, erzählt Nigal vor Schülern der Oberstufe.

“Mein Vater hatte Glück, fand irgendwo ein Zimmer und einen Handwagen, mit dem wir unsere Habseligkeiten hinüberschoben – unter den höhnischen Zurufen der Menschen auf der Straßen, unter den Hakenkreuzfahnen auf jedem Haus vom Dach bis zum Gehsteig… Und was ich dabei fühlte, als ich den Handwagen zog: Dafür ist mein Onkel (im Ersten Weltkrieg, Anm.) gefallen? Dafür hat mein Vater (bei der Staatsbahn, Anm.) sein Leben lang gedient? Das ist das, was man mich unterrichtet hat, das Heimat ist?”

Zeitzeugengespräche mit Shoa-Überlebenden an Wiener Schulen

Nigal kommt Anfang 1939 an ein Visum für das damalige britische Mandatsgebiet Palästina. Seine Eltern, glaubt er, würden wenige Wochen später nachkommen. Tatsächlich aber überlebt sein Vater den Holocaust nicht, er wird in Auschwitz ermordet. Seine Mutter wird auf dem Weg nach Palästina von den Briten aufgehalten und kommt in ein Internierungslager auf Mauritius. Erst nach dem Krieg wird Nigal sie in Palästina wiedersehen.

Trotz der traumatischen Erfahrungen – und das ist die positive Botschaft, die Nigal den Schülern mitgeben will – habe er sich ein “normales Leben” aufgebaut. Nach dem Krieg – Nigal hatte als Freiwilliger in der britischen Armee gedient und war gegen Kriegsende in Oberitalien leicht verwundet worden – machte er Karriere in der israelischen Armee, später in der Industrie. Stolz zeigt er Fotos von seiner Familie. “Das ist mein persönlicher Sieg über Hitler: Mein Söhne, meine sieben Enkelkinder und beiden Urenkel.”

Zwar komme er mittlerweile wieder “gern” nach Wien zurück und habe auch gute Erinnerungen an seine Jugend. “Aber wenn ich jetzt die Augen schließe in der Großen Stadtgutgasse, sehe ich noch immer vor mir die Hakenkreuzfahnen vom Dach bis zum Gehsteig. Das bleibt, trotzdem.”

Positiver Eindruch von Bundeskanzler Kurz

Zu aktuellen politischen Themen, etwa den Annäherungsversuchen der FPÖ an Israel, wollte sich der Zeitzeuge nicht äußern. Von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) habe er jedenfalls im persönlichen Gespräch einen positiven Eindruck gewonnen. Angesprochen auf die europäische Flüchtlingspolitik sagte Nigal, dass die Flüchtlinge seine “volle Empathie” hätten. Israel komme, was Syrien-Flüchtlinge betreffe, auch seinen Verpflichtungen nach.

Jedes Jahr werden es weniger, die von ihren leidvollen Erfahrungen mit den Nationalsozialismus aus erster Hand erzählen können. Auch Nigal ist sich dieser Problematik bewusst, auch wenn der rüstige 95-Jährige mit seiner festen Stimme den Eindruck macht, als könnte er noch viele Jahre von seinen Erfahrungen erzählen. Er glaube aber, dass “darüber genug geschrieben” worden sei, um das Wissen auch an jüngere Generationen weiterzugeben, sagte er im Gespräch mit der APA. “Und die Schulen machen viel, besonders hier.” Für Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP) ist das allmähliche Verschwinden der Überlebenden-Generation eine “Herausforderung”. “Eine Möglichkeit ist sicherlich auch, die Nachfahren von Zeitzeugen, die ja unmittelbar immer in einen familiären Diskurs eingebettet waren, weiterhin (…) als Nachfahren der Zeitzeugen auftreten zu lassen”, sagte der Minister gegenüber der APA. Es sei ihm ein Anliegen, dass Schüler weiterhin einen “unmittelbaren”, auch “subjektiv geprägten” Eindruck von der NS-Zeit bekämen.

130 Überlebende zu Gast in Wien

Die gleichzeitig stattfindenden Zeitzeugengespräche gehen auf eine Initiative von Faßmann und Kanzler Kurz zurück. Etwa 130 Überlebende seien der Einladung nach Wien gefolgt, die die beiden bei ihrem letzten Israel-Besuch “relativ spontan” ausgesprochen hätten, so der Bildungsminister. Die Ehrengäste werden an mehren Veranstaltungen im Rahmen der Gedenkfeierlichkeiten zum 80. Jahrestag der November-Pogrome teilnehmen.

(APA/Red)

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