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Zehn Jahre "Schandfleck Gitmo" - und kein Ende in Sicht

Am 11. Jänner 2002 wurden die ersten 20 Gefangenen aus Afghanistan in das Lager gebracht.
Am 11. Jänner 2002 wurden die ersten 20 Gefangenen aus Afghanistan in das Lager gebracht. ©EPA
US-Präsident Barack Obama spricht nur noch selten von Guantanamo Bay. Das war vor vier Jahren ganz anders. Da geißelte der Wahlkämpfer Obama die andauernde Internierung Hunderter Terrorverdächtiger ohne Gerichtsverfahren immer wieder als "trauriges Kapitel in der US-Geschichte", versprach er, im Fall seines Sieges das international als Schandfleck kritisierte Lager zu schließen. Der Schutz der Nation und die Achtung der Menschenrechte müssten und dürften sich nicht gegenseitig ausschließen.

Aus den Versprechen ist nichts geworden. Im Gegenteil. Am 11. Jänner besteht “Gitmo” schon zehn Jahre, und der Präsident hat just ein Gesetz unterzeichnet, das weiterhin grünes Licht für die unbegrenzte Gefangenschaft Terrorverdächtiger auch ohne Prozesse gibt. Damit ist klar: Das Lager auf Kuba bleibt auf lange Sicht bestehen.

“Krasser Bruch der Rechtsstaatlichkeit”

Menschenrechtler und liberale Kreise haben dagegen protestiert. Ben Wizner von der größten US-Bürgerrechtsorganisation ACLU etwa spricht von einem “neuen krassen Bruch mit der Rechtsstaatlichkeit”. Aber sonst blieb es weitgehend still, auch im Ausland, das sich doch während der Bush-Ära häufig lautstark über das rechtliche Niemandsland für Amerikas Terrorgefangene entrüstet hatte. Wie es scheint, ist mittlerweile so etwas wie Gewohnheit eingekehrt. Und so müssen wohl auch weder die geistigen Architekten noch die heutigen Verwalter des Lagers befürchten, dass sie zum “Jubiläum” auf breiter Front als Menschenrechtsverletzer an den Pranger gestellt werden.

Erschreckende TV-Bilder

Es war der 11. Jänner 2002, genau vier Monate nach den Anschlägen vom 11. September, als die ersten 20 Gefangenen im amerikanischen Anti-Terror-Kampf aus Afghanistan in das Lager gebracht wurden. Auf Bildern des US-Fernsehens sah man sie dort im Camp X-Ray auf dem Boden knien, in Käfigen, wie man sie sonst aus dem Zoo kennt. Die Drahtgehege gehören längst der Vergangenheit an, auch ist die Zahl der Insassen deutlich geschrumpft. Aber immer noch 171 Gefangene aus über 20 Ländern wurden nach Pentagon-Angaben Ende 2011 in Guantanamo festgehalten. Insgesamt waren es seit Anfang 2002 knapp 780, ein großer Teil aus dem Jemen.

Im Laufe der Jahre transferierten die USA mehr als 600 Gefangene in andere Staaten. Lediglich sieben Guantanamo-Häftlinge wurden bisher verurteilt – sechs von ihnen von einer der umstrittenen Militärkommissionen, die der Republikaner George W. Bush eigens für Verfahren gegen die “Gitmo”-Terrorverdächtigen geschaffen hatte.

48 Menschen bleiben eingesperrt – trotz mangelnder Beweise

Die Obama-Administration will Dutzenden der noch verbliebenen Gefangenen den Prozess machen, Dutzende weitere sollen freigelassen werden, wenn sich denn Aufnahmeländer finden. Aber wie etwa die Organisation Amnesty International betont, machte die Regierung auch 48 Gefangene aus, die weder vor eine Militärkommission gestellt noch auf freien Fuß gesetzt werden sollen. Man hält sie für gefährlich, aber die Beweise reichen für einen erfolgversprechenden Prozess nicht aus. Das bedeutet Gefangenschaft mit offenem Ende – auch unter Obama.

“Es ist eine traurige Geschichte mit vielen Autoren”, sagt Wizner von der ACLU (American Civil Liberties Union). Wie viele andere Kritiker des Präsidenten in dieser Frage spricht er Obama den guten Willen zur Schließung des Lagers und Abschaffung der Militärtribunale nicht ab. Aber er lastet ihm “eine Menge verpasster Gelegenheiten” während der ersten Monate im Amt an, als seine Demokraten noch beide Häuser des Kongresses beherrschten.

Menschenrechtler ernüchtert über Obama

Weltweit hatten Menschenrechtler gejubelt, als Obama gemäß seinem Wahlkampfversprechen kurz nach Einzug ins Weiße Haus die Tribunale aussetzte und Schließung binnen eines Jahres ankündigte. Aber dann wurde rasch klar, dass der von liberalem Idealismus beseelte Präsident die Widerstände im eigenen Land und wohl auch die anhaltende Angst vor Terroristen gründlich unterschätzt hatte.

Der Knackpunkt: Wohin mit den Guantanamo-Gefangenen? In Amerika wollte und will sie kaum jemand haben, auch nicht in einem Hochsicherheitsgefängnis und schon gar nicht auf freiem Fuß. Der Kongress sperrt sich gegen jeden Gefangenentransfer in die USA – bis heute wurde kein einziger Häftlinge aus dem Lager aufgenommen.

Todesstrafe droht

Am Ende ließ Obama Pläne fallen, “Gitmo”-Insassen den Prozess vor Zivilgerichten in den USA zu machen, wie er es sogar mit den mutmaßlichen Hauptdrahtziehern der Anschläge vom 11. September vorgehabt hatte. Die Sondertribunale nahmen ihre Arbeit wieder auf, wenn auch mit mehr Rechten für die Angeklagten. Demnächst könnte es in einem Verfahren erstmals sogar um die Todesstrafe gehen – ein neues Kapitel in der Geschichte von Guantanamo Bay.

Immerhin ist aber seit 2009 kein neuer Gefangener mehr in das Lager gebracht worden – nach Interpretation von Wizner ein Zeichen dafür, dass Obama Guantanamo wenigstens nicht noch eine zusätzliche Daseinsberechtigung geben will. Aber das ist wahrscheinlich kein Lichtblick für die derzeitigen Dauerinsassen – darunter laut Amnesty mindestens elf, die am 11. Jänner ein Jahrzehnt Gefangenschaft in “Gitmo” verbracht haben werden, ohne dabei jemals einen Richter zu Gesicht bekommen zu haben.

(APA)

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