"Zauberstab der Emanzipation" - Der Lippenstift wird 130 Jahre alt

Zunächst galt der Lippenstift als anrüchig, nur Tänzerinnen und Huren schminkten sich damit – die berühmte französische Diva Sarah Bernhardt gab ihm sogar den Beinamen “Stylo d’Amour” (“Stift der Liebe”). Zudem war der kleine Stift anfangs nahezu unbezahlbar und absoluter Luxus. Erst mit der Verbreitung des Stummfilms in den 20er Jahren wurde der Lippenstift populärer.
“Volkslippenstift” für 1,50 Mark
Der vollständige Durchbruch in Westdeutschland kam nach dem Krieg, als die Amerikaner den Drehlippenstift mitbrachten und die Schauspielerin und Sängerin Hildegard Knef für den “Volkslippenstift” (VL) für nur 1,50 Mark warb. “Hilde sagte immer zu mir: Mach mir mal Farbe auf die Lippen, damit ich weiß, wo vorne ist”, erzählt Rene Koch, Visagist und Besitzer des Lippenstiftmuseums in Berlin.
“Sanfte Waffe der Frau”
Seitdem hat der Lippenstift eine erstaunliche Karriere gemacht: 78 Prozent der deutschen Frauen benutzen ihn einer Umfrage zufolge. 2012 gaben die Deutschen 64 Millionen Euro in Parfümerien und Kaufhäusern dafür aus – 5,6 Prozent mehr als 2011. “Eigentlich ist der Lippenstift derzeit populärer denn je”, sagt Koch. “Er ist die sanfte Waffe der Frau, ein kleiner Zauberstab der Emanzipation.”
Stift-Form seit 1883
Schon vor Tausenden von Jahren malten einflussreiche Frauen wie Nofretete oder Kleopatra ihre Lippen rot an. Damals wurde die Farbe noch in kleinen Döschen aufbewahrt und mit dem Finger oder Pinsel aufgetragen. Zwei Franzosen versetzten die Pomade dann mit Hirschtalg und Bienenwachs und präsentierten sie – unhandlich mit Seidenpapier umwickelt – in Stift-Form bei der Weltausstellung in Amsterdam, die am 1. Mai 1883 eröffnet wurde.
Roter Lippenstift voll im Trend
Pünktlich zum 130-jährigen Jubiläum feiert in diesem Jahre knallroter Lippenstift sein Comeback. Auch im Nobelkaufhaus Galeries Lafayette in Berlin gehören Lippenstifte in unzähligen Rot-Nuancen zur Produktpalette. “Rot kommt ganz massiv”, bestätigt eine Verkäuferin. Schauspielerin Dita von Teese, die als Vertreterin der New Burlesque immer mit lasziv geschminkten Lippen auftritt, habe den Rot-Trend wieder ausgelöst. “Es kommen heute deutlich mehr Männer zu uns, die gezielt nach einem roten Lippenstift für ihre Frau oder Freundin suchen”, ergänzt eine Kollegin.
Mund ist Attraktivitätsmerkmal
“Rot wirkt immer erregend und aufmerksamkeits-heischend, kann aber auch ein Zeichen von Macht und Dominanz sein”, sagt Psychologe Peter Walschburger von der Freien Universität Berlin. In allen entwickelten Kulturen würden rote Lippen sowohl bei Männern als auch bei Frauen bevorzugt. Zudem sei der Mund mit das ausgeprägteste Attraktivitätsmerkmal, so Walschburger. “Da liegt es natürlich nahe, dass man ihn hervorhebt, wenn man etwas erreichen will.” “Rot kommt zurück, weil die Frauen selbstbewusster und erfolgreicher geworden sind”, sagt auch Rene Koch. “Denn die Farbe der Lippen ist auch immer ein Spiegel der Zeit.” (APA)