Darin seien aber noch nicht die Opfer enthalten, die noch immer unter den Trümmern liegen oder die bereits von ihren Verwandten bestattet worden sind. Unterdessen haben die Vereinten Nationen den früheren US-Präsidenten Bill Clinton als Chefkoordinator aller Hilfen für das vom Erdbeben zerstörte Land gewonnen.
Clinton “wird die Soforthilfe und den langfristigen Wiederaufbauprozess strategisch führen”, sagte UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon am Mittwochabend in New York. Er habe ihn gebeten, die Aufgabe zu übernehmen, “und Clinton hat zugestimmt”, erklärte Ban. Clinton war schon vor der Erdbeben-Katastrophe als UNO-Sondergesandter für Haiti tätig. In diplomatischen Kreisen in New York hieß es, er sei der ideale Mann für den Posten, weil er sowohl die Erfahrung aus den Jahren im Weißen Haus als auch das Ansehen als etablierter UNO-Repräsentant mit sich bringe.
Das Erdbeben der Stärke 7,0 hatte Port-au-Prince und Gebiete westlich der Hauptstadt am 12. Jänner zerstört. Über eine Million Menschen wurden obdachlos. Die Regierung in Port-au-Prince geht davon aus, dass mehr als 300.000 Menschen verletzt wurden. Etwa 4.000 von ihnen seien Gliedmaßen amputiert worden. Hilfsorganisationen hatten die Zahl der Amputierten zuvor bereits auf 6.000 geschätzt. Die tatsächliche Zahl der Toten und Verletzten wird sich nach Meinung von Experten allerdings nie ermitteln lassen.
Unterdessen mehren sich Proteste von Erdbebengeschädigten, die bei der Verteilung von Hilfsgütern bisher leer ausgangen sind. Sie werfen der haitianischen Regierung vor, nichts zur Linderung ihrer Not unternommen zu haben. Im Stadtteil Petionville in Port-au-Prince demonstrierten etwa 300 Menschen vor dem Rathaus und beschuldigten die Bürgermeisterin, Lebensmittelgutscheine der ausländischen Hilfsorganisationen verkauft zu haben statt sie gratis abzugeben.
Nach Angaben von UNO-Generalsekretär Ban ist der Aufbau von Notunterkünften jetzt das Wichtigste, da in der Region der Beginn der Regenzeit erwartet werde. UNO-Angaben zufolge haben bisher 10.000 Familien Zelte und weitere 15.000 große Planen erhalten. 15.000 Zelte lägen bereit zum Verteilen und 40.000 seien auf dem Weg. Laut Ban wird Ex-Präsident Clinton schon am Freitag nach Haiti fliegen, um seine neue Rolle zu übernehmen. Darüber hinaus werde er wie bisher nach Sponsoren suchen, die das schon vor dem Erdbeben ärmste Land der westlichen Hemisphäre beim Aufbau unterstützen.
Die haitianische Staatsanwaltschaft will am Donnerstag entscheiden, ob sie gegen zehn US-Bürger Anklage wegen Kindesentführung erhebt. Die Akten seien vorhanden, und es sei nun an der Staatsanwaltschaft von Port-au-Prince zu entscheiden, wie es in dem Fall weitergehe, sagte Ermittlungsrichter Isai Pierre-Louis am Mittwoch. Die öffentlichen Anhörungen der Verdächtigen sollten um 10.00 Uhr (Ortszeit) beginnen.
US-Außenministerin Hillary Clinton sprach von einer “unglücklichen” Angelegenheit. Die haitianischen Behörden hätten zum Wohle der Kinder gehandelt, die ohne gültige Dokumente außer Landes gebracht werden sollten. Ungeachtet der Beweggründe der US-Bürger sei es bedauerlich, dass die Gruppe in diese Sache verwickelt sei, sagte Clinton. Die US-Regierung rede mit den haitianischen Behörden darüber, welche Maßnahmen angemessen seien.
Bei den Verdächtigen handelt es sich um eine Gruppe von US-Baptisten, die 33 haitianische Kinder im Alter zwischen zwei Monaten und 14 Jahren ohne Genehmigung außer Landes bringen wollten. Sie wurden am Freitag an der Grenze zur Dominikanischen Republik festgenommen. Die Baptisten der US-Organisation New Life Children’s Refuge betonten die guten Absichten ihrer Mitglieder.