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Wissenschaftler: Schulen müssen sofort schließen

Laut den Wissenschaftlern tragen Schulen deutlich zur Verbreitung der Coronaviren bei.
Laut den Wissenschaftlern tragen Schulen deutlich zur Verbreitung der Coronaviren bei. ©APA/HARALD SCHNEIDER
Angesehene Wissenschaftler in Österreich fordern die sofortige Schließung der Schulen, um eine weitere Verbreitung des Coronavirus zu unterbinden. Ein "Lockdown light" sei für die Mathematiker, Informatiker und Physiker nicht streng genug.
Droht Verschärfung des Teil-Lockdowns?

Einen deutlich strengeren Lockdown als derzeit fordert eine Gruppe österreichischer Wissenschaftler unterschiedlicher Fachrichtungen. Sie sprechen sich in einer Aussendung für die sofortige Schließung aller Schulen, die "Pflicht zu Home-Office, wo immer möglich" sowie die Erhöhung des Mindestabstands von einem auf zwei Meter aus, andernfalls würden Österreich überlastete Spitäler und Triage drohen.

Lockdown light viel zu locker

"Der 'Lockdown light' setzt, im Gegensatz zum rigorosen Lockdown im Frühjahr, teils auf die falschen Maßnahmen und ist viel zu locker", meinen der Mathematiker Peter Markowich, der Informatiker Georg Gottlob und die beiden Physiker Christoph Nägerl und Erich Gornik, allesamt Träger des Wittgenstein-Preises - der höchste Wissenschaftsförderpreis Österreichs - aus den vergangenen Jahrzehnten, in einer der APA übermittelten Stellungnahme. Sie sehen daher "nach aller wissenschaftlicher Evidenz Österreich seit Wochen ungebremst in die Katastrophe überlasteter Spitäler fahren, wo Ärzte Triage machen und PatientInnen unbehandelt sterben lassen müssen".

Ansteckungen in Schulen

Nach Ansicht der vier Wissenschafter sind Schulen "einer der Treiber von respiratorischen Viren, das ist eine bewiesene Tatsache. Österreichische Studien, die das Gegenteil beweisen wollen, sind methodisch falsch bzw. überholt". Aussagen wie "Die Schulen sind besonders sichere Orte" seien nicht aufrecht zu erhalten. Sie empfehlen daher, alle Schulen sofort zu schließen und Unterricht wo möglich online abzuhalten. Die Schulen seien nicht die alleinige Ursache der Explosion der Fallzahlen, aber "ganz sicher ein signifikanter Beitrag" und "eine der effektivsten Einzelmaßnahmen überhaupt".

Weiters empfehlen sie, den Mindestabstand von ein auf zwei Meter zu erhöhen. Auch Betriebe sollten sofort herunterfahren, speziell Großraumbüros, und eine "Pflicht zu Home-Office, wo immer möglich" eingeführt werden.

"Weicher Lockdown" schadet Wirtschaft

Mit jedem Tag eines "weichen" Lockdowns werde der Schaden für die Wirtschaft und für die Gesellschaft, inklusive der Kinder, größer. "Auch wenn alle großen Nachteile der Schulschließungen berücksichtigt werden, wiegt die Katastrophe der Überlastung der Spitäler schwerer. Alle, die jetzt gegen Schulschließung reden, müssen dazusagen, dass sie damit für Triage spätestens ab 18. November sind", meinen die Wissenschafter.

Schulschließungen ziehen hohe Kosten nach sich

Schulschließungen ziehen aus ökonomischer Sicht "hohe individuelle und gesellschaftliche Kosten nach sich". Zu dieser Schlussfolgerung kommt ein "Research Brief" des Wifo. Diese Kosten könnten sowohl direkt über Einkommenseinbußen entstehen oder indirekt etwa über steigende Gesundheitskosten wegen fehlender Bewegung, psychischer Belastung etc. Besonders betroffen dürften jüngere Kinder sein, die noch umfassende Unterstützung beim "Erlernen von Lernen" benötigen.

In der Untersuchung, die diverse Studien der vergangenen Jahre zusammenfasst, verweisen die Autorinnen Julia Bock-Schappelwein und Ulrike Famira-Mühlberger vom Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) auch auf historische Beispiele. So waren etwa 1990 im wallonischen Teil Belgiens aufgrund von Streiks nahezu alle Schulen über mehrere Monate immer wieder und sechs Wochen ganz geschlossen. Im Vergleich zu den Schülern im flämischen Teil Belgiens mussten in Folge wallonische Schüler vermehrt Klassen wiederholen. Sie erreichten auch langfristig nur niedrigere Bildungsabschlüsse, was negative Effekte auf ihren persönlichen Arbeitsmarktverlauf hatte und zu gesellschaftlichen Wohlfahrtsverlusten führte. Ähnliche empirische Ergebnisse gebe es auch für Kanada und Argentinien.

Folgen auch für die Eltern

Folgen haben Schulschließungen aber auch auf das Arbeitsangebot der Eltern: In Österreich haben rund 31 Prozent der Beschäftigten Kinder unter 15 Jahren in ihrem Haushalt und rund 25 Prozent keine potenzielle Betreuungsperson, also keine erwachsene Person ohne Beschäftigung, im gleichen Haushalt. Insgesamt 12,5 Prozent der Beschäftigten kommt im Falle von Schul- oder Kindergartenschließungen eine Versorgungsverpflichtung gegenüber Kindern zu, wobei von diesen Personen neun Prozent aller Arbeitsstunden in Österreich geleistet werden. "Auch wenn diese betroffenen Personen kreative Weg des Verbindens von Beschäftigung außer Haus bzw. Homeoffice und Homeschooling finden, sind die unmittelbaren Effekte auf das Arbeitsangebot negativ", heißt es in der Untersuchung.

Auch Verluste beim BIP sind durch die Einschränkung der elterlichen Berufstätigkeit möglich, wenn dadurch unwiederbringliche Umsatzverluste entstehen wie zum Beispiel einer Nicht-Beteiligung an Ausschreibungen oder einer Nicht-Erbringung von Dienstleistungen. Zusätzlich hätten Schulschließungen negative Effekte auf die Lohnungleichheiten zwischen Männern und Frauen, da letztere ihr Arbeitsangebot bei Schulschließungen stärker einschränken.

Negative Folgen gibt es außerdem für Zulieferbetriebe - also etwa Betreiber von Fahrtendiensten, Bäckereien oder Gastro-Betriebe, die Schulessen bereitstellen. Langfristige ökonomische Effekte würden für Unternehmen bzw. die Gesellschaft auch entstehen, wenn der Anteil von Schülern mit unzureichenden Basiskompetenzen weiter steigt - das habe Konsequenzen auf das Angebot an Fachkräften wie für Innovationen.

Bildungsministerium: "Vielfältige Forschungslage"

Auf die unterschiedliche Datenlage zum Thema Corona und Schule verweist das Bildungsministerium. "Es gibt eine vielfältige Forschungslage zu dem Thema", hieß es in einer der APA übermittelten Stellungnahme zur Forderung von Mathematikern und Physikern zur sofortigen Schließung aller Schulen.

"Wichtig ist es, die Balance zwischen Gesundheitsschutz und den berechtigten Interessen auf Bildung herzustellen", betont man im Ministerium.

(APA/red)

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