„Wir sind auf dem Weg zu einer Zweidrittel-Demokratie“

Dornbirn. Die Zukunft der Demokratie war das Thema eines Vortrags in der Stadtbibliothek. Als „demokratischen Ort“ bezeichnete Bibliotheksleiterin Ulrike Unterthurner auch die Stadtbibliothek und freute sich, die renommierte Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle vor vollem Haus zu begrüßen. „Die Demokratie hat uns viel zugemutet in den letzten Jahren. Wir hätten uns nicht gedacht, dass die Politik uns noch so beeinflussen würde in unserem täglichen Leben“, meinte Kathrin Stainer-Hämmerle zu Beginn ihres Vortrags und ging dann auf die Ergebnisse verschiedener Umfragen und des Demokratie-Monitors des SORA-Institutes ein.
Gesellschaft verändert sich
Kathrin Stainer-Hämmerle machte einen kurzen Rückblick auf den Beginn der Pandemie, als 51 Prozent der Befragten angaben, Sebastian Kurz und seiner Politik zu vertrauen. Dieses Vertrauen ist sukzessive gesunken. Befeuert durch die Inseratenaffäre und den erneuten Lockdown, sind aktuell beinahe sechs von zehn Menschen davon überzeugt, dass das politische System in Österreich weniger oder gar nicht gut funktioniert. „Meine These ist die, dass wir auf dem Weg sind zu einer Zweidrittel-Demokratie“, meinte Kathrin Stainer-Hämmerle. Dies belegen auch die Umfrageergebnisse – im unteren Drittel der Gesellschaft sagen 70 Prozent, das politische System funktioniere nicht mehr. Eine Mehrzahl in diesem Segment fühlt sich als Menschen zweiter Klasse behandelt und sieht sich im Parlament nicht vertreten.
„Die Gesellschaft bewegt sich auseinander im Verhältnis zur Demokratie und im Vertrauen in die Politik. Diese Entwicklung ist jedoch nicht neu – ein Drittel der Gesellschaft fühlt sich schon seit Jahren politisch nicht mehr repräsentiert“, betonte Stainer-Hämmerle. Die Gefahren einer Zweidrittel-Demokratie sieht sie unter anderem im Erfolg von einzelnen Personen und Single-Issue-Parteien. Das sinkende Vertrauen in die Politik führe zu mangelnder Identifikation, diese führe zu einer Regelverweigerung und die fortschreitende Polarisierung münde schließlich in Radikalisierung.
Vertrauen auf dem Tiefpunkt
Obwohl sich das Systemvertrauen auf tiefstem Punkt seit Erhebungsbeginn befindet, denken immer noch neun von zehn Menschen in Österreich, dass die Demokratie die beste Staatsform ist. Die zehn Prozent der Bevölkerung, die das anders sehen, haben jedoch im Verlauf der Pandemie ihr Gedankengut verfestigt. „Corona hat die Defizite stärker zu Tage treten lassen. Der Wandel der Gesellschaft durch Mega Trends hat jedoch schon davor begonnen und es wurde leider viele Jahre vieles verabsäumt“, sagte Kathrin Stainer-Hämmerle.
Verantwortung übernehmen
Zum Schluss ihres Vortrags ging die Politikwissenschaftlerin auf fünf populäre Irrtümer ein – „wenn wir im Alltag auf die achten, können wir schon etwas bewegen“. Dazu gehöre, Demokratie nicht als Selbstverständlichkeit zu sehen sowie junge Menschen und ihr Anprangern einer korrupten Politik ernst zu nehmen. „Demokratie ist keine Diktatur der Mehrheit, es geht darum, tragfähige Lösungen für eine Mehrheit zu finden und Kompromisse einzugehen. Außerdem kann Demokratie nicht delegiert werden, sondern wir sind vielmehr alle gefordert, beizutragen und die Verantwortung zu erkennen, die wir tragen“, so Kathrin Stainer-Hämmerle.
Der Vortrag in der Stadtbibliothek fand im Rahmen der Programmreihe „Dinge neu denken“ statt. Dabei reden die Teilnehmenden über neue Perspektiven, die Mut machen sollen und zum gemeinsamen Handeln einladen. Gefördert wird die Reihe aus Mitteln der Österreichischen Gesellschaft für politische Bildung.