Liebhaber des Eingängigen kamen bei Wagners Vorspiel und Liebestod aus “Tristan und Isolde” auf die Rechnung, mit Edward Elgar und Carl Nielsen stöberte man danach eher im Raritätenkabinett.
Knetete Rattle beim “Tristan” mit kräftigen Bewegungen und verklärtem Gesicht förmlich die Orchestermasse, die um das ideale Verhältnis der Wagner’schen Zutaten zwischen Romantik und Bombastik durch unzählige Operndienste jedoch selbst bestens Bescheid wusste, so hatte der Dirigent bei Elgars eigenwilligem Cellokonzert e-Moll, op. 85 alle Hände voll zu tun, um die ideale Balance zwischen Orchesterklang und Solostimme zu halten. Solist Franz Bartolomey hatte dabei jedoch den noch um einiges anstrengenderen Part, denn das Cello war im Dauereinsatz und musste von einer schwierigen Passage zur nächsten eilen. Bartolomey, eine der sympathischsten Galionsfiguren der Orchesters und als Philharmoniker-Mitglied Fortführer einer Familientradition in dritter Generation, nahm am Ende erschöpft, aber glücklich den wohlverdienten Applaus entgegen.
Zum Favoriten des Programms, das gestern, Samstag, Nachmittag erstmals gegeben wurde und am Sonntagvormittag im klassischen “Philharmonischen” wiederholt wird, kürte das Publikum jedoch Carl August Nielsens Symphonie Nr. 4, op. 29 (“Das Unauslöschliche”). Das pausenlos zu spielende viersätzige Werk des Dänen ist nur zwei, drei Jahre vor Elgars Cellokonzert entstanden (zwischen 1914 und 1916), klingt doch völlig anders. Rattle gelang es, wunderschöne Einzelstimmen der Flöten ebenso herauszuarbeiten wie den Pizzicato-Passagen der Streicher Raum zur Entfaltung zu geben.
Ob man beim bombastischen finalen Pauken-Einsatz eher jener Interpretation anhängen wollte, die das Stück als Auseinandersetzung mit dem kriegerischen Geschehen des Ersten Weltkriegs sieht, oder dem bösen Kommentar eines zeitgenössischen Rezensenten folgen mochte, dem in Anlehnung an allerlei naturhafte Erklärungsversuche des Komponisten die Assoziation “tanzende Kühe auf der Dreschtenne” einfiel – Rattle war dies alles einerlei. Er konzentrierte sich auf die reine Musik und wurde dafür zum Abschluss von seinen Fans gebührend gefeiert.
Während sich die Wiener Philharmoniker heuer mit Georges Pretre auf den Jahreswechsel vorbereiten, wird Sir Simon Rattle am letzten Tag des Jahres wieder am Pult “seiner” Berliner Philharmoniker stehen. Diesmal steht russische Romantik auf dem Programm, das ZDF überträgt am 31. Dezember ab 17.30 Uhr live, und auch bei der CD-Veröffentlichung ist man ähnlich flott wie die Wiener Kollegen: EMI Classics bringt die Live-CD bereits am 7. Jänner auf den Markt.