Dem auf naturwissenschaftliche Archäologie (Archäometrie) spezialisierten, aus Wien stammenden Chemiker Ernst Pernicka wurde nach dem Tod des langjährigen Grabungsleiters Manfred Korfmann von der Uni Tübingen im Herbst vergangenen Jahres die Leitung des „Troja-Projekts“ übertragen. Von den türkischen Behörden erhielt er im Sommer auch die Grabungslizenz. Weil diese bisher nur Archäologen erteilt wurde, war dafür eine Änderung des türkischen Gesetzes notwendig, erklärte der 56-jährige Wissenschafter gegenüber der APA.
Das durch Homers Epos „Ilias“ weltberühmt gewordene Troja war ab 1870 unter der Leitung des Hobby-Archäologen Heinrich Schliemann systematisch ausgegraben worden. Er entdeckte in den Überresten der an der Meerenge der Dardanellen gelegenen Stadt im Nordwesten der Türkei u.a. den „Schatz des Priamos“. Nach rund 50-jähriger Grabungspause gelang es 1988 dem deutschen Archäologen Korfmann, die Grabungen wieder aufzunehmen. Dieser genoss das Vertrauen der Türken, er erhielt eine Grabungslizenz auf Lebenszeit.
Pernicka hat Korfmann seit 1983 gekannt und war seit dieser Zeit auch mit Funden aus Troja beschäftigt. So koordinierte er die naturwissenschaftlichen Untersuchungen des anorganischen Fundmaterials aus der antiken Stadt. Jetzt hat er das rund 35 Wissenschafter umfassende Grabungsteam für Troja übernommen und fühlt sich dabei „wie ein Fußballtrainer: Ich muss das Team neu formieren und motivieren, das ist primär ein Managementjob“.
Von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) erhält das Troja-Projekt vorerst bis 2009 rund 70.000 Euro jährlich, darüber hinaus fördern zwei Stiftungen in Tübingen und Canakkale die wissenschaftliche Arbeit. Vorrangiges Ziel dabei ist der Abschluss der bald 20-jährigen Grabung und deren wissenschaftliche Aufarbeitung. Auch wenn Pernicka die Chance auf einen nochmaligen Schatzfund wie bei Schliemann als sehr gering einschätzt, hofft er auf weitere interessante Funde. So wurde z.B. in Troja noch kein größeres Gräberfeld gefunden, und Pernicka hofft auf entsprechende Entdeckungen.
Außerdem will Pernicka an Korfmanns umstrittener These weiterarbeiten, wonach Troja von einer ausgedehnten Unterstadt umgeben war und in der Bronzezeit einen bedeutenden Handelsknoten zwischen Ägäis und Schwarzem Meer darstellte. Korfmann untermauerte seine Ansicht mit einem 1993 erstmals entdeckten Befestigungsgraben, der mittlerweile an der gesamten Süd- und Westseite der Stadt nachgewiesen werden konnte. Bei der Grabung in diesem Sommer konnte Pernicka auch die Krümmung dieser Wehranlage an der Südost-Ecke nachweisen und hofft, in den kommenden Jahren das gesamte Befestigungssystem zu orten und damit die Größe der damaligen Stadt zu belegen. Was bei mehr als 3.000 Jahren Siedlungsgeschichte (zwischen etwa 3.000 v.Chr. und 500 n. Chr.) und mehr als zehn Siedlungsschichten übereinander gar nicht so einfach ist.
Zudem will Pernicka an der touristischen Nutzung der Ausgrabung weiterarbeiten, in deren Zentrum ein Museum mit angeschlossener Forschungsstation stehen soll. Die Ruine ist ja von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt worden, die Türken haben die Region um die antike Stadt zum Historischen Nationalpark erklärt, wodurch die Küste vor Troja weitgehend unverbaut ist. Korfmann habe die Ruine bereits mit Besucherwegen und Erklärungstafeln touristisch zugänglich gemacht, mit Besucherzahlen von rund 500.000 jährlich sei man aber beispielsweise von Ephesos mit mehr als zwei Mio. Besuchern pro Jahr noch weit entfernt, so Pernicka, der gemeinsam mit privaten Partnern und der türkischen Regierung an einem touristischen Nutzungskonzept arbeitet.