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Wiener in der Schuldenfalle

Rund 3.400 Haushalte in Wien wurden im vergangenen Jahr von einem Gerichtsvollzieher "besucht" - oft sorgen Versandhausbestellungen, Handyrechnungen und Statussymbole für Ruin.

Rund 3.400 Haushalte waren in Wien vergangenes Jahr von einer Delogierung bedroht. Viele Mieter können die missliche Lage mit Hilfe von Beratungseinrichtungen noch abwehren, für einige ist dies jedoch die finanzielle Endstation: Die Wohnung muss geräumt werden. Einer, der ein Lied davon singen kann, ist der Gerichtsvollzieher Othmar Peichl.

Das Tagwerk beginnt für den bereits seit 28 Jahren in diesem Beruf tätigen Exekutor recht zeitig: Ab 6.00 Uhr dreht er in Simmering seine Runden und sucht seine „Kundschaft“ auf.

An diesem frühen Morgen steht eine Gemeindewohnung auf dem Terminkalender von Peichl. Ein 24-Jähriger hat die Miete seit Monaten nicht mehr gezahlt, die Rechnung beläuft sich bereits auf rund 2.000 Euro.

Vor dem Haus wartet bereits ein gelber Speditionslastwagen, auch ein Schlosser wurde herbeordert. Laut Hausmeisterin ist der fragliche Mieter zu Hause, doch selbst nach mehrmaligem lauten Klopfen rührt sich niemand in der Wohnung. Erst als sich der Handwerker an der Türe zu schaffen macht, öffnet sich plötzlich die Tür.

Oft Unverständnis für die “Amtshandlung”

„Wieso?“, ist die erste Frage, die der Mann stellt, als ihm Peichl erklärt, dass er jetzt die Wohnung sofort verlassen muss. Danach bietet er an, in einer Woche zu zahlen. Nach zahlreichen Mahnungen und rekommandierten Briefen, die er nie abgeholt hat, ist es zum Verhandeln allerdings zu spät.

Wie so oft bei Peichls Klientel ist auch das Leben dieses Mieters schon seit längerem aus dem Ruder gelaufen. In der kleinen Wohnung herrschen chaotische Zustände: Schmutziges Geschirr stapelt sich in der Küche, das Wohnzimmer ist ein einziger Gerümpelhaufen, als Schlafstatt dient eine ramponierte ausziehbare Couch. In der Luft hängt einen beißender Geruch, Motten kreisen im Zimmer.

Sofort beginnen die Arbeiter mit der Räumung, der sichtlich unangenehm berührte junge Mann hilft mit. Gewand wird in einen Plastiksack gepackt, Fernseher und Stereoanlage wandern auf den Gang. Nach rund einer halben Stunde ist der Fall erledigt: Das Türschloss ist ausgetauscht, der ratlos wirkende Delogierte hat ab sofort keinen Zutritt mehr zu der Wohnung.

Versandhauskataloge, Handyrechnungen und Statussymbole führen in Schuldenfalle

Peichl kennt „seine“ Schuldner schon gut: „In 70 Prozent der Fälle fahre ich eigentlich immer zu den gleichen Parteien.“ An Arbeit mangelt es ihm offenbar nicht: „Auf jeder Stiege“ gebe es durchschnittlich zwei Haushalte, die er bereits wegen ausstehender Zahlungen aufgesucht habe. Es seien immer ähnliche Gründe, warum Menschen in die Schuldenfalle geraten, sagt Peichl: Unbezahlte Versandhausbestellungen, teure Statussymbole und Handyrechnungen führen für viele zum finanziellen Aus.

Dabei wird auch der längstdienendste Gerichtsvollzieher nachdenklich: „Irgendetwas stimmt im System nicht“, findet er.

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