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Wien braucht keine neuen Denkmäler

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Gastkommentar von Andreas Unterberger: Es ist eine Lieblingsbeschäftigung der Politik und sogenannter Intellektueller, Denkmäler zu ersinnen, zu diskutieren und zu bauen. Schon wieder hat eine Kommission ein neues vorgeschlagen. Diesmal sogar für den Heldenplatz. In Wahrheit aber braucht diese Stadt, braucht eine demokratische Gesellschaft überhaupt keine Denkmäler. Wien hat längst schon viel zu viele davon. Und viel zu viele seltsame.

Der Bau von Denkmälern war eine Unsitte des 19. Jahrhunderts. Vorher hat man nur bisweilen – aus nachvollziehbarem Anlass Pestsäulen errichtet. Monarchen ließen sich in früheren Zeiten lediglich proträtieren. Im 19. Jahrhundert jedoch begannen sich nicht nur die Angehörigen der herrschenden Häuser mit Monumenten zu feiern, sondern es wurde auch fast für jeden, der einmal im Leben ein Buch geschrieben, ein Lied komponiert hat, ein solches errichtet. Das geschah nicht (nur) auf Friedhöfen, sondern auf möglichst auffälligen Plätzen der Stadt.

Seither geht man an zahllosen Figuren, Büsten, Reliefs vorbei – und hat oft nicht die geringste Ahnung, was diese eigentlich ehren sollen. Nur noch staubige Bücher können das beantworten.

Besonders intensiv wurde der Denkmalkult in totalitären Systemen betrieben. Dadurch hatte ab 1989 halb Europa das Problem: Wohin mit all diesen geballten Arbeiterfäusten, kämpferischen Lenins und bartrauschenden Marx-Darstellungen? Diese Grässlichkeiten stehen nun auf großen Abstellplätzen. Niemand will sie haben.

Immer wieder glaubt die Politik ernstlich, das, was sie tut, sei richtig, ja sei für die Ewigkeit. Und feiert sich pompös (teuer). Kurzzeitig prominente Personen sollten aber in Wahrheit schon froh sein, wenn ihre Erwähnung nicht später Entsetzen auslöst. Oder wenn sie bewusst totgeschwiegen werden. Nur ein Beispiel: In der SPÖ darf seit Jahren niemand Viktor Klima erwähnen, nicht einmal indirekt. Dabei hat er jahrelang diese Partei und die Regierung geführt.

Benennung von Straßen problematisch

Auch die Benennung von Straßen oder Gebäuden nach Menschen ist problematisch. Dabei müssten Gebäude ja gar nicht „getauft“ werden (ich hatte schon viele Wohnsitze, aber noch nie einen mit Namen). Wie muss sich heute jemand fühlen, der im „Karl-Marx-Hof“ wohnt? Und der weiß, dass im Namen von Karl Marx viele Millionen Menschen bestialisch ermordet worden sind. Dass dessen Wirtschaftstheorien viele Länder auf Jahrzehnte in bittere Armut gestürzt haben.

Wie in der Politik ist es auch im Kulturleben: Was wirklich wichtig ist, was bleibt, weiß man erst viel später. Man schaue nur auf die Spielpläne der Wiener Theater aus den 50er bis 80er Jahren: Viel von dem, was damals Theaterdirektoren und Kulturjournalisten in helle Begeisterung versetzt hat, wird heute und seit Jahren nirgendwo mehr auf der Welt gespielt.

Gewiss: Manches wird eines Tages wohl wiederentdeckt werden und dann bleiben. Nur weiß heute halt niemand, was und wer das sein wird. Vieles, das einst laut gerühmt worden ist, wird in Vergessenheit sinken. Ich glaube zum Beispiel, dass Thomas Bernhard, der jahrelang der größte Kulturaufreger Wiens war, in ein paar Jahrzehnten nur noch in Literaturgeschichten zu finden sein wird.

Kulturelle Vergänglichkeit

Noch ein Beispiel der kulturellen Vergänglichkeit: Wiens „Phantastischen Realisten“ waren in den 60er und 70er Jahren in aller Munde. Sie waren gesucht und teuer. Es wurde der Eindruck verbreitet, dass sie der Malerei den entscheidenden Impuls versetzt hätten. Heute aber kräht kein Hahn mehr nach ihnen. Werden sie noch jemals als relevant wiederentdeckt werden? Das halte ich für eher wahrscheinlich als bei Bernhard, aber auch nicht sehr wahrscheinlich.

Triumphal wiederentdeckt wurde jedoch die Stadtarchitektur des Historismus. Zwei Generationen lang war ja dieser Stil als billiges Epigonentum verachtet. Heute triumphiert er in fast ganz Europa, wird gehegt und gegen Bauspekulanten geschützt. Das lässt hoffen, dass es nun nicht mehr allzu lang dauern wird, bis es auch in Wien so weit sein wird. Das Wiener Rathaus lässt ja derzeit noch immer reihenweise Gebäude der Epoche vor dem Ersten Weltkrieg abreißen oder durch dreistöckige Aufbauten lächerlich machen.

Längst eingestellt sind hingegen die einst mit viel Steuergeld subventionierten Rundfahrten „Modernes Wien“. Ihr Ziel waren die Gemeindebauten der Nachkriegszeit. Werden diese noch jemals als toll entdeckt werden? Wohl eher nicht. Niemand findet es jedenfalls falsch, dass in vielen Städten heute zu Tausenden die industriell gefertigten Plattenbauten weggerissen werden.

Zurück zum Unsinn von Denkmälern. Der Verstorbenen wird zu Recht auf Friedhöfen gedacht. Aber was ist, wenn die nicht mehr leben, die den Toten persönlich gekannt haben? Wenn niemand mehr dessen Werke liest, spielt, sieht? Wenn seine Politik als Irrweg entlarvt ist? Sollen dann sinnlose Denkmäler herumstehen?

Politische Denkmäler

Ein guter Vorschlag: Baut in einer reifen Demokratie überhaupt keine politischen Denkmäler mehr. Weder für Personen noch Institutionen. Was wichtig ist, entscheiden die Menschen, entscheidet jede Generation selber, und nicht Monumente. Benennt keine Wohnhäuser. Und wenn euch für Gassen nur Namen einfallen, dann nehmt nur solche von Künstlern, Denkern und Wissenschaftlern, die mindestens 50 Jahre tot und trotzdem noch bekannt sind.

PS.: Sollte der Bundespräsident einen Ort brauchen, wo er an National- und Staatsfeiertagen einen Kranz niederlegen will, dann soll er – statt dass jetzt am Heldenplatz ein neues Denkmal gebaut wird – einfach auf den Zentralfriedhof fahren. Dort kann er dann problemlos aller Österreicher gedenken, der vermeintlich wichtigen und der wirklich wichtigen (übrigens: auch die unwichtigen würden sich freuen).

Der Autor war 14 Jahre Chefredakteur von „Presse“ bzw. „Wiener Zeitung“. Er schreibt unter www.andreas-unterberger.at sein „nicht ganz unpolitisches Tagebuch“, das heute Österreichs meistgelesener Internet-Blog ist.

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