Mindestens 20 tunesische Migranten passierten am Samstag in Ventimiglia die Grenze zu Südfrankreich. Am Sonntagmorgen folgten weitere, wie italienische Medien berichteten. Hunderte Migranten warteten noch in der Stadt auf die Papiere und den ersehnten Übergang.
Frankreich reagiert mit verschärften Kontrollen gegen die Migranten und ordnete am Sonntag sogar eine Unterbrechung der Bahnverbindung zwischen Ventimiglia und der französischen Küstengemeinde Menton an. Erst zum Abend wurde die Strecke wieder freigegeben. Mit den tunesischen Migranten hätten auch Menschenrechtler im Rahmen einer nicht angemeldeten Demonstration einreisen wollen, hieß es von den Behörden. Es habe eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung bestanden.
Migranten werden zu politischer Frage
Nach dem Schengen-Abkommen zum offenen Grenzübergang können die umstrittenen Ausweise tatsächlich zum Übertritt der Migranten berechtigen. Doch der Großteil der EU hatte sich unter der Leitung von Deutschland und Frankreich auf einem Sondergipfel in Luxemburg bereits vor einer Woche heftig gegen das italienische Vorgehen ausgesprochen. Besonders zwischen Rom und Paris ist die Frage der Migranten zum Politikum geworden.
Die Kontrollen wurden in Frankreich bereits in den vergangenen Wochen und Monaten verstärkt. Nach Angaben von Innenminister Claude Guéant wurden allein zwischen dem 23. Februar und dem 28. März insgesamt 2800 Illegale und Migranten aus Tunesien bei Personenkontrollen erwischt. 1700 der Migranten von ihnen wurden bereits zurückgeführt, die meisten nach Italien.
Selbst mit den Papieren aus Italien dürften die meisten tunesischen Migranten keine Chance auf eine legale Einreise haben. Sie müssen unter anderem nachweisen, dass sie ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten können. 31 Euro pro Tag und Person sind notwendig, wer keine Bleibe hat muss sogar 62 Euro pro Tag und Person nachweisen.
Migranten abschieben
Seit dem Sturz des tunesischen Präsidenten Zine el Abidine Ben Ali im Jänner kamen mehr als 23 000 Tunesier illegal nach Italien. Rom darf nach einem vor knapp zwei Wochen geschlossenen Sonderabkommen mit Tunis Migranten von dort zwar ab sofort wieder abschieben. Die zuvor angekommenen müssen jedoch versorgt werden. Da die meisten Migranten ohnehin weiter nach Frankreich wollten, hatte die italienische Regierung von Silvio Berlusconi die Ausstellung von Sonderpapieren zur Weiterreise angeordnet.
Allein am Samstag hatten die Behörden in Ventimiglia an der Grenze zu Frankreich rund 400 Anträge wartender Tunesier bearbeitet. 120 von ihnen wurden laut Medienberichten mit Dokumenten ausgestattet. Viele der wartenden Tunesier verbrachten auch die Nacht zum Sonntag erneut im Aufnahmezentrum des kleinen Grenzorts, andere auf dem Bahnhof. Es wird damit gerechnet, dass Italien ab sofort täglich rund 100 Dokumente ausstellt.
Keine Solidarität mit Migranten
Die französische Regionalzeitung “Dernières Nouvelles d’Alsace” (Straßburg) kommentiert am Montag den Streit zwischen Rom und Paris über die Ausreise tunesischer Flüchtlinge aus Italien:
“Die Spannungen zwischen Frankreich und Italien über die “Tunesier von Lampedusa” lassen die Solidarität vermissen, die man eigentlich von zwei Nachbarländern am Mittelmeer erwarten würde, die mit einem Flüchtlingsproblem fertig werden müssen. Sollten diese beiden Länder fürchten, von 22 000 Menschen überschwemmt zu werden, deren einziges Verbrechen es ist, von einem neuen Leben am anderen Ufer des Mittelmeers zu träumen? Natürlich will niemand, dass Europa zu einem Sieb wird. Aber angesichts dieses unwürdigen Spektakels sollte sich Europa zusammenreißen und sich auf den Humanismus besinnen, der Teil seiner Kultur ist.”
Niederlande fordert Fingerabdrücke der Migranten
Zur Visa-Vergabe an tunesische Migranten in Italien schreibt die niederländische Zeitung “de Volkskrant” am Montag:
“Laut Schengen-Abkommen können die Tunesier frei durch Europa reisen, solange ihr Visum gültig ist. Deshalb muss die Fremdenpolizei genau kontrollieren, ob alle diese Voraussetzungen erfüllt sind. Wer nicht ausreichend Geld bei sich hat, nicht die richtigen Papiere oder eine Eintragung im Schengen-Informationssystem für Straftaten hat, soll nach Italien zurückgeschickt werden. Zusammen mit Belgien und Luxemburg drängen die Niederlande Italien, Personalien und Fingerabdrücke aller Neuankömmlinge in die europäische Datenbank Eurodac einzuspeisen. Ansonsten könnten nämlich bald viele Illegale herumlaufen, von denen weder Identität, noch Herkunft bekannt ist. Die Abschiebung ist in solchen Fällen besonders schwierig.”