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Welttag der psychischen Gesundheit

Psychische Erkrankungen sind genau so wenig eine Schande wie Stoffwechselerkrankungen.

“Sie sind auch genau so gut behandelbar wie andere Krankheiten. Die Schwelle für psychisch Kranke, Hilfe in Anspruch zu nehmen, ist aber noch immer höher als bei Diabetes oder Rheuma.“ Ein Plädoyer für einen von Stigmata und Diskriminierungen freien Umgang der Gesellschaft mit diesen Erkrankungen – speziell aber mit den Betroffenen – hielt jetzt der Chefarzt der Psychosozialen Dienste (PSD) in Wien, Dr. Stephan Rudas, in einem Gespräch mit der APA aus Anlass des Welttages für psychische Gesundheit (10. Oktober) gegenüber der APA.

Oft wird behauptet, dass die Häufigkeit von psychischen Leiden in der modernen Leistungsgesellschaft ansteige. Rudas: „Das wissen wir nicht. ’Die psychische Erkrankung’ gibt es genau so wenig wie ’die’ internistische Erkrankung. Manche Formen werden seltener, manche nehmen offenbar zu. Morbus Alzheimer nimmt zum Beispiel zu. Aber nicht, weil 80-Jährige heute mehr Morbus Alzheimer bekommen, sondern weil wir mehr 80-Jährige in unserer Gesellschaft haben.“

Zunehmen würden offenbar auch Krankheiten des depressiven Formenkreises. Der Psychiater: „Ob das auf Kosten anderer psychischer Erkrankungen geschieht oder weil wir nur mehr dieser Leiden entdecken, ist nicht klar.“

Die Grundproblematik insgesamt, so Rudas: „Psychische Leiden sind nicht ’einfach’ per Laborbefund oder gar Röntgenbild ’sichtbar’ zu machen. Die Seele ist ein unsichtbares Organ. Die Tatsache, dass bei psychiatrischen Erkrankungen kein Körperteil schmerzt, trägt dazu bei, die psychische Gesundheit zu vernachlässigen. Dabei ist in den europäischen Ländern an einem Stichtag jeder siebente Einwohner schwer psychisch erkrankt.“

Auch veränderte Einstellungen der Gesellschaft würden zu einem anderen Bild von den psychiatrischen Erkrankungen führen: „Beim Alkoholismus gehen wir davon aus, dass dieses Problem nicht wächst. Er ist mit Abstand die häufigste Suchtkrankheit, wurde früher aber nicht als Krankheit angesehen. Die Gesamtzahl der neurotischen Erkrankungen ist hoch. Es gibt hier aber weniger hysterieforme Erscheinungsbilder, stattdessen wohl mehr Depressionen, Angst- und Zwangsstörungen.“

Auf der anderen Seite gebe es viele psychische Erkrankungen, die früher als Konsequenz von körperlichen Leiden auftraten, praktisch überhaupt nicht mehr. Rudas: „Die progressive Paralyse als Folge der Syphilis existiert im Endeffekt seit der Erfindung des Penicillins nicht mehr. Da gab es früher eine ganze Palette psychiatrischer Folgeerkrankungen von organischen Leiden, die heute nicht mehr vorkommen.“

Doch das Entscheidende sind die Fortschritte der Psychiatrie. Rudas: „Die Psychiatrie hat sich deutlich weiter entwickelt. Zwangsaspekte gibt es nur noch extrem selten. Es gibt gute Medikamente – nur bei den psychiatrischen wird nach den Nebenwirkungen gefragt, bei den Rheumamitteln nicht.“ Am wichtigsten sei, dass die Betroffenen möglichst bald Hilfe suchen – und diese auch möglichst schnell und ohne Behinderungen erhielten.

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