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Warum es Skepsis gegen die Wissenschaft in der Corona-Krise gab

Kommunikationswissenschaftler Matthias Karmasin betont, dass das "False Balance"-Problem große Auswirkungen auf die Einstellung gegenüber der Wissenschaft in der Corona-Krise hatte.
Kommunikationswissenschaftler Matthias Karmasin betont, dass das "False Balance"-Problem große Auswirkungen auf die Einstellung gegenüber der Wissenschaft in der Corona-Krise hatte. ©APA/HELMUT FOHRINGER
Obwohl die Coronapandemie die Wissenschaft in die Schlagzeilen gehievt hatte, taten sich bei vielen Themen große Gräben auf, was das Vertrauen in Forschung angeht.

Vor allem um das Thema "Impfen" taten sich während der Corona-Krise große Gräben auf, was das Vertrauen in Forschung angeht. Ein simples Mehr an wissenschaftlichen Inhalten in Medien, bringe hier jedoch wenig Ausgleich, so der Kommunikationswissenschafter Matthias Karmasin im APA-Gespräch. Es brauche weniger "False Balance", weniger Möchtegern-Experten und mehr Forschungsvermittlung zum Angreifen.

Skepsis gegen die Wissenschaft während der Corona-Krise

Die äußerst emotionalen Diskussionen um die Covid-Impfungen zeige gut, welche Herausforderungen sich für die Wissenschaftskommunikation in einer im Strukturwandel befindlichen Öffentlichkeit stellen. Von einem gewissen Unbehagen gegenüber den neuen mRNA-Impfstoffen ging es bis hin zu offener Ablehnung gegenüber der Wissenschaft selbst. Entgegen mancher Stimmen seien ideologisch geprägte Grabenkämpfe rund um Impfen und vor allem Impfpflicht aber alles andere als neu, so der Forscher vom Institut für vergleichende Medien- und Kommunikationsforschung (CMC) der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und der Universität Klagenfurt.

Ähnliche Argumente bei der Pocken-Impfung wie gegen Corona-Impfung

Schon bei der Verpflichtung zur Pockenimpfung wurden oft sehr ähnliche Argumente ins Feld geführt, wie man sie heute etwa in Sozialen Medien finde. Nun müsse man sich aber vor Augen führen, dass "Nachrichten" über Facebook und Co für die Altersgruppe zwischen 18 und 24 Jahren mittlerweile die primäre Informationsquelle darstellen. Dass hier "etablierte Medien" eine untergeordnete Rolle spielen, sorge auch unter Wissenschaftern oft für Staunen, sagte Karmasin, der am Freitag am "Clemens von Pirquet Symposium: Covid-19 Pandemie und das Impfwesen einst und heute" an der ÖAW in Wien spricht.

Wissenschaft-Skepsis vor allem in den Sozialen Medien verbretiet

Das zeige sich in bisher zehn Erhebungen des Österreichischen Gallup Institut und des Medienhauses Wien. Gleich nach dem ORF war demnach Facebook die wichtigste Nachrichtenquelle im gesamten Pandemie-Verlauf. Unter Personen, die nicht impfbereit waren, präferierten immerhin 24 Prozent den Sender "Servus TV", dem vorgeworfen wird, auch Corona-Verharmlosern oder -Leugnern ein Forum geboten zu haben. Diese Gruppe lehnte wiederum die ORF-Berichterstattung am stärksten ab und sprach der Wissenschaft am stärksten ab, vertrauenswürdig zu sein. Beim Blick auf Parteipräferenzen sehe man, "dass die Politisierung der Wissenschaft bei uns auch stattfindet."

Karmasin: "Es kommt auf die Art der Kommunikation an"

Ein einfaches Plus an Wissenschaftsberichterstattung gehe jedenfalls keineswegs mit mehr Vertrauen in die Wissenschaft einher. Gerade ServusTV bietet an sich mehrere Wissenschaftssendungen an. Karmasin: "Es kommt auf die Art der Kommunikation an."

"False Balance-Problem" als weit verbreitetes mediales Problem

Hier greife das "False Balance-Problem", also das Präsentieren von Standpunkten fernab des wissenschaftlichen Konsens neben den weithin anerkannten Standpunkten. Das erzeuge den Eindruck eines umstrittenes Themas, obwohl alle ausgewiesenen Experten einer Meinung sind. In Sozialen Medien sei dieser Effekt noch stärker ausgeprägt.

In jüngeren Studien mit sehr breiter Datenbasis habe sich am Beispiel des Klimawandels gezeigt, dass "False Balance" ein weit verbreitetes mediales Problem ist - nicht nur in politisch polarisierten Medienlandschaften wie in den USA. Es lasse sich am Beispiel "ORF vs. ServusTV" auch hierzulande "empirisch rekonstruieren".

Experten seien neben Menschen ohne Qualifikation gestellt worden

Ein Problem sei auch, wenn nach wissenschaftlichen Kriterien ausgewiesene Experten neben Menschen gestellt werden, die dieses Kriterium nicht erfüllen. Die Konsequenz ist, dass deren Ansichten vermeintlich als gleichwertig angesehen werden. Dem Publikum zuzumuten, hier unterscheiden zu können, sei illusorisch.

Geförderte Medien sollten Wissenschaftsjournalisten anstellen

Auch in den Medienhäusern selbst könnten das bei weitem nicht alle. Darum plädiert Karmasin für eine Medienförderung, die sich auch an Qualitätskriterien orientiert. So sollten etwa auch Wissenschaftsjournalisten bei einem geförderten Medium angestellt sein. Leider zeige sich vielfach, dass Wissenschaftsredaktionen "zu klein und zu schlecht finanziert sind". Dort gebe es aber in der Regel die Kompetenz zur Einschätzung, wer zu welchem Thema aktiv forscht und tatsächlich ausgewiesener Experte zu Covid-19, zum Klimawandel und Co ist.

Neue Vermittlungsformate für einen Einblick in die Wissenschaft

Um einen besseren Einblick in die Welt der Wissenschaft und der Wissensgewinnung zu bekommen, brauche es laut Karmasin jedenfalls Investitionen in neue Vermittlungsformate mit "Wissenschaft zum Angreifen und im Dialog", mehr Augenmerk auf Medien- und Wissenschaftskompetenz in Bildungseinrichtungen und mehr Engagement seitens der wissenschaftlichen Einrichtungen selbst. So sollten sich diese etwa davor hüten, als zu politiknahe wahrgenommen zu werden. "Viel Kritik, die die Politik bekommen hat, ist imagemäßig auch auf die Wissenschaft übergeschwappt", betonte Karmasin.

(APA/Red)

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