Warnungen vor Diskriminierung durch Kopftuchverbot

2020 hatte der VfGH ein von der ÖVP-FPÖ-Regierung unter Sebastian Kurz (ÖVP) beschlossenes Kopftuchverbot an den Volksschulen gekippt. Die 2019 beschlossene Regelung ziele nur auf Muslime ab, was dem Gebot der religiösen Neutralität des Staates widerspreche, kritisierte der VfGH damals. Im aktuellen Gesetzesentwurf, dessen Begutachtungsfrist am heutigen Donnerstag endet, versucht man zwar auf die damaligen Bedenken des VfGH einzugehen, wie etwa das Justizministerium einräumt. Aber nicht nur dort geht man davon aus, dass der Entwurf in seiner aktuellen Form erneut am Gleichheitsgrundsatz scheitern würde.
Wieder Fokus auf ein einziges Symbol
Das Verbot zielt nämlich auch diesmal wieder ausschließlich auf das islamische Kopftuch. Es wird zwar diesmal auf das Kopftuchtragen als "Ausdruck einer ehrkulturellen Verhaltenspflicht" eingeschränkt. Eine klare Definition gibt es laut Justizressort aber weder im Gesetzestext noch in den Erläuterungen, dementsprechend schwer wäre das Abstrafen. Auch die Begründung des Verbots ist laut Ministerium zu vage, gibt es doch etwa keine gesicherte Zahl zu den Betroffenen.
Neben diversen NGOs und Religionsgemeinschaften sieht auch der Österreichische Rechtsanwaltskammertag (ÖRAK) juristische Probleme. Die "grundrechtlichen Bedenken" seien dieselben wie beim 2020 vom VfGH aufgehobenen Kopftuchverbot und die Rechtfertigungsgründe im aktuellen Gesetzesentwurf "empirisch in keiner Weise belegt". Der ÖRAK vermisst auch eindeutige Definitionen: Es sei etwa unklar, ob das Verbot nur im Unterricht, generell am Schulgelände, bei schulbezogenen Veranstaltungen oder auch am Schulweg gelten soll, was Sanktionen durch Verwaltungsstrafen "erheblich" erschweren würde.
Problematisch finden die Anwälte oder auch die Gleichbehandlungsanwaltschaft (GAW) außerdem, dass im geplanten "Bundesgesetz zur Stärkung der Selbstbestimmung von unmündigen Mädchen an Schulen mittels Einführung eines Kopftuchverbots" die Regelung bis zur achten Schulstufe und damit fallweise auch für 15-, 16- oder 17-Jährige gelten soll. Ab 14 sind Jugendliche nämlich religionsmündig und das Verbot würde damit gegen deren Religionsfreiheit verstoßen. Außerdem würden Eltern dadurch für ein Verhalten haften, auf das sie keinen Einfluss haben.
ÖVP für Beschluss mit Zwei-Drittel-Mehrheit
Die SPÖ Burgenland pochte darauf, das Kopftuchverbot auf jeden Fall einzuführen. "Sollte das Verbot neuerlich nicht halten und vom Verfassungsgerichtshof gekippt werden, fordern wir den Beschluss eines solchen Verbots mit Zwei-Drittel-Mehrheit im Nationalrat, damit das Gesetz Verfassungsrang bekommt", erklärte Klubchef Roland Fürst in einer Aussendung. Dass das von ÖVP und FPÖ 2019 beschlossene Verbot 2020 vom VfGH gekippt wurde, begründete er mit dem "Dilettantismus" der damaligen Bundesregierung.
Die ÖVP will das Verbot sogar sofort mit Verfassungsmehrheit beschließen: "Wir wollen ein starkes Signal setzen mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit im Nationalrat, die diesen Grundsatz der Freiheit über jede parteipolitische Linie stellt", überbot Integrationssprecher Ernst Gödl Fürsts Vorstoß noch. Wer das Kopftuchverbot ernsthaft mittrage, sollte auch bereit sein, es rechtlich abzusichern.
IGGÖ sieht Widerspruch zu staatlicher Neutralität
Die Islamische Glaubensgemeinschaft (IGGÖ) sieht das geplante Gesetz im "eklatanten Widerspruch" zu Religionsfreiheit, der Gleichbehandlung und des Elternrechts auf religiöse Erziehung". Hier werde eine bestimmte Bevölkerungsgruppe diskriminiert, religiös bekleidete Schülerinnen würden aus dem regulären Unterricht faktisch ausgeschlossen oder in Konflikt mit ihrer religiösen Überzeugung gebracht. Die Beurteilung, ob das Tragen eines Kopftuchs Ausdruck von "Ehre" oder "Zwang" sei, sei außerdem nicht mit der staatlichen Neutralität vereinbar.
Die Bischofskonferenz ist zwar dagegen, dass Kinder in der Schule Kopftuch tragen müssen, spricht sich aber weiter auch gegen ein Verbot aus. Dieses sei unverhältnismäßig und könnte dazu führen, dass Mädchen auf häuslichen Unterricht ausweichen und Spaltung und Vorurteile zunehmen. Die Evangelische Kirche sieht im vorliegenden Gesetz "vorrangig Symbolpolitik, die sich an die Wählerschaft und gegen Musliminnen und Muslime richtet". Der Rat der Freikirchen ortet eine "einseitige Diskriminierung".
Für NGOs kein Mittel für mehr Selbstbestimmung
Die Idee des Gesetzes, die Selbstbestimmung, Gleichberechtigung und Sichtbarkeit von Mädchen zu fördern, wird zwar in den Stellungnahmen vieler Institutionen explizit begrüßt. Das Kopftuchverbot sei allerdings nicht die richtige Maßnahme dafür. Die Kinder würden dadurch vielmehr stigmatisiert, warnt etwa der Städtebund, der befürchtet, dass Mädchen in besonders patriarchalen Familien dadurch komplett aus den Schulen und damit dem öffentlichen Leben verschwinden könnten. Die Katholische Frauenbewegung Österreichs (kfbö) sieht das geplante Gesetz gar als Einschränkung der Selbstbestimmung, weil die betroffenen Mädchen dadurch nicht mehr über ihren Körper und ihre Identität entscheiden können.
NGOs wie Amnesty International (AI) oder die Bundesjugendvertretung (BJV) kritisieren auch die Annahme der Regierung, dass Mädchen jedenfalls zum Tragen des Kopftuchs gezwungen werden. Muslimas werde jede Selbstbestimmung abgesprochen, so AI, und ein staatliches Kopftuchverbot könnte die ohnehin schon wachsende Islamfeindlichkeit in Österreich noch weiter befeuern. Eine solche Entwicklung gab es laut Gleichbehandlungsanwaltschaft bereits beim ersten Verbot 2019.
Psychologen und Pflichtschullehrer dafür
Die BJV ist außerdem dagegen, Probleme wie die Radikalisierung junger Menschen durch Social Media auf das Symbol des Kopftuchs zu reduzieren. Stattdessen sollten Medienkompetenz und Präventionsarbeit gefördert werden, um das Selbstbewusstsein von Mädchen zu stärken und patriarchale Rollenmuster aufzulösen - und das nicht nur mit Fokus auf den Islam.
Positiv sieht man das geplante Verbot unterdessen im Berufsverband der Österreichischen Psychologinnen und Psychologen (BÖP), es sei ein "Beitrag zu einer freien und selbstbestimmten Entwicklung". Der Staat sei per Verfassung verpflichtet, Gleichberechtigung von Mann und Frau zu fördern und das Kindeswohl an vorderste Stelle zu setzen - und das könne in der Schule zu Spannungen religiös und kulturell motivierten Erziehungsrechten der Eltern führen.
Auch die von der ÖVP-nahen Fraktion Christlicher Gewerkschafter (FCG) angeführte Pflichtschullehrergewerkschaft begrüßt den Entwurf grundsätzlich in seiner Zielsetzung, die Selbstbestimmung von Schülerinnen zu stärken. Es dürften dadurch aber keine "zusätzlichen Belastungen" für Schulen entstehen. Die SPÖ-nahen Lehrer hingegen haben das Gesetz als "krasse Themenverfehlung" kritisiert, die zusätzliche Belastung bringe, während andere dringende Probleme vernachlässigt würden.
(APA)