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Wahlkampf in Bagdad

Auch eine Woche nach dem offiziellen Wahlkampfauftakt ist an Straßenrändern und Hauswänden Bagdads noch keine einzige Werbung für die Abstimmung im Jänner aufgetaucht.

Stattdessen versinkt die irakische Hauptstadt mit ihren fünf Millionen Einwohnern immer mehr im Alltagsgrau. Bomben und Terror verhindern ein öffentliches Auftreten von Kandidaten und ihre Kontaktsuche mit potenziellen Wählern.

Seit Mittwoch steht nun fest, dass sich 73 Parteien und 25 Einzelkandidaten am 30. Jänner um die 275 Sitze im ersten Parlament der Post-Saddam-Ära bewerben. Doch bisher fanden nur wenige Kundgebungen der Parteien und Gruppierungen in der schwer bewachten Grünen Zone statt, wo die irakische Übergangsregierung sitzt, und wo Amerikaner und Briten ihre Botschaften haben. In das Sperrgebiet dürfen nur wenige Berechtigte mit Sonderausweis, auf den viele Menschen mindestens fünf Tage warten müssen. Die US-Militärs haben die Sicherheitsüberprüfungen verschärft. So fand der Wahlkampf in Bagdad bisher weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Lediglich Vertreter der Medien mit Sondergenehmigungen sind anwesend.

Die Rolle der Medien im Wahlkampf ist bereits in die Kritik geraten. Vor allem Vertreter kleiner Parteien und Gruppierungen fühlen sich ungerecht behandelt. So haben Regierungsvertreter, allen voran Übergangs-Ministerpräsident Iyd Allawi, fast uneingeschränkten Zugang zum staatlichen Fernsehen, um in Interviews oder Fragestunden mit Zuschauern Rede und Antwort zu stehen. Noch nie seit seinem Amtsantritt Ende Juni flimmerte das Gesicht des Regierungschefs so oft über den Bildschirm wie in diesen Tagen.

Wer es sich leisten kann, besitzt eine eigene Zeitung. Da es kein Mediengesetz gibt, darf alles publiziert werden, was finanziert werden kann. Rund 25 Tages- und Wochenzeitungen in Bagdad sind in der Hand von Parteien oder Einzelpersonen, die nach politischen Ämtern streben. Sunniten und Schiiten haben ihr mediales Sprachrohr, ebenso die Kurden. Auf der Strecke bleiben kleine demokratische Bewegungen und Organisationen der Zivilgesellschaft, die sich weder ethnisch noch religiös definieren und auch nicht genug Geld haben, um Medienkampagnen zu bezahlen. Das scheint die meisten Einwohner Bagdads aber nur am Rande zu interessieren, obwohl die halbamtliche Tageszeitung „Al Sabah“ in einer eigenen Umfrage festgestellt haben will, dass über 70 Prozent der Wahlberechtigten Ende Jänner zu den Urnen gehen wollen. Doch sind die Menschen derzeit eher damit beschäftigt, Treibstoff für ihre Autos und Generatoren zu besorgen, als sich um ihr künftiges Parlament zu kümmern.

Bei Temperaturen um den Gefrierpunkt, täglicher Sabotage an Ölleitungen und Anschlägen auf Tankwagen wird das Überleben in der Metropole am Tigris immer schwieriger. Mittlerweile müssen umgerechnet 12 Euro für 20 Liter Benzin auf dem Schwarzmarkt bezahlt werden. An den Tankstellen ist kaum noch etwas zu bekommen. 21 Monate nach Beginn des dritten Golfkrieges und dem Versprechen auf eine bessere Zukunft für die Menschen im Irak werden täglich noch immer nicht mehr als 4100 Megawatt Strom produziert: das sind etwas weniger als vor Kriegsbeginn und etwa die Hälfte des eigentlichen Bedarfs. „Demokratie ist gut für die Seele, reicht aber nicht zum Überleben“, fasst Shadda, Reporterin der Tageszeitung „Al Sabah“, die Stimmung ihrer Landsleute zusammen.

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