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ÖVP-Europaabgeordnete Ranner wegen Spesenaffäre zurückgetreten

Die ÖVP-Delegation im Europaparlament hat innerhalb weniger Tage ein Drittel ihrer Mitglieder verloren: Die steirische Abgeordnete Hella Ranner (59) erklärte am heutigen Dienstag wegen einer Spesenaffäre ihren Rücktritt. Sie soll zur Tilgung privater Schulden auch das Spesen-Pauschale für EU-Abgeordnete genutzt haben, was sie selbst bestreitet. Vorige Woche war ÖVP-Delegationsleiter Ernst Strasser über eine Lobbyisten-Affäre gestolpert. Sein Nachrücker Hubert Pirker steht wegen seiner Lobbying-Firma "EU-TRICONSULT" nun ebenfalls unter Beschuss.
Causa Ranner - Rücktrittsschreiben im Wortlaut
Ranner erklärte am Dienstag gegenüber Bundesparteiobmann Josef Pröll und dem steirischen ÖVP-Landeschef Hermann Schützenhöfer ihr Ausscheiden. Konkret wird ihr Rücktritt mit dem morgigen Donnerstag schlagend. Sie sehe sich wegen der Affäre “außer Stande (…), meinen Verpflichtungen als Mandatarin zum Europäischen Parlament weiter nachzukommen”, heißt es im Rücktrittsschreiben. Ranner betonte zugleich, dass die Anschuldigungen “haltlos und unwahr” seien.

ÖVP-Generalsekretär Fritz Kaltenegger erklärte, mit dem Rücktritt sei in der Causa Ranner “politisch ein Schlussstrich gesetzt, den Rest hat die Justiz zu klären”. ÖVP-Chef Pröll habe “den klaren und unmissverständlichen Auftrag gegeben, für Ordnung zu sorgen”, betonte Kaltenegger.

Der Schritt Ranners zeichnete sich ab, nachdem der Europaabgeordnete Othmar Karas seine Kandidatur als ÖVP-Delegationsleiter von einer Klärung der Vorwürfe abhängig gemacht hatte. Am späten Dienstagvormittag kam Ranner dann in Graz mit dem steirischen ÖVP-Chef LHStv. Hermann Schützenhöfer und Landesgeschäftsführer Bernhard Rinner zu einem Gespräch zusammen. Ranner teilte mit, dass sie ihr Mandat als EU-Abgeordnete zurücklegen werde, was von den beiden zur Kenntnis genommen wurde.

Medienberichten zufolge hatte die ÖVP “enormen” Druck auf Ranner ausgeübt, zurückzutreten. Öffentlich sprachen sich noch am Dienstagvormittag mehrere ÖVP-Spitzenpolitiker gegen eine Vorverurteilung und eine “exakte” Überprüfung der Vorwürfe aus, was eine gewisse Zeit erfordere.

Ranner soll einem Bericht der Tageszeitung “Kurier” (Dienstagausgabe) zufolge durch eine Firmenbeteiligung einen Schuldenberg von mehr als sieben Millionen Euro angehäuft haben. Auf ihrem Insolvenzkonto soll neben der Witwenpension und ihrem EU-Abgeordnetensalär in Höhe von 6.000 Euro monatlich auch ein pauschaler Spesenersatz von monatlich 4.202 Euro eingelangt sein. Mit einem Teil der Spesen sollen Schulden bedient worden sein, den Rest habe Ranner für ihren Lebensunterhalt verwendet. Ranner sagte, dieser Vorwurf sei “absolut lächerlich. Das wurde schon drei Mal richtig gestellt”. Sie sei gesetzlich verpflichtet, ihr gesamtes Einkommen gegenüber dem Gericht offenzulegen.

Die Abgeordnete war über ihre Beteiligung an einer Firma, die insolvente Unternehmen sanieren und mit Gewinn verkaufen wollte, in die Insolvenz geschlittert. Zu Jahresbeginn wurde am Landesgericht Graz ein Sanierungsverfahren über die “Revita Beteiligungs- und Beratungsgesellschaft m.b.H.” eröffnet, die Überschuldung soll 3,5 Millionen Euro betragen. Die Juristin Ranner saß seit dem Jahr 2009 im Europaparlament und galt als Verkehrsexpertin der ÖVP-Delegation.

Strasser war über einen Enthüllungsbericht der britischen “Sunday Times” gestürzt. Als Lobbyisten getarnte Reporter hatten Strasser Geld angeboten, um Gesetzesanträge im EU-Parlament einzubringen. Dabei hatte Strasser auch noch versucht, Karas und Ranner mit der Causa zu befassen. Er erklärte nach einer öffentlichen Aufforderung Prölls seinen Rücktritt. Die Wiener Korruptionsstaatsanwaltschaft bestätigte, dass es in der Causa Strasser am Montag mehrere Hausdurchsuchungen in Österreich gegeben habe. Auch Strasser sei einvernommen worden, sichergestellte Dokumente und Datenträger würden nun ausgewertet. Dagegen verweigert das Europaparlament der EU-Betrugsbekämpfungsbehörde OLAF weiterhin eine Durchsuchung der Abgeordnetenbüros.

Mit dem Ausscheiden Ranners verringert sich aller Voraussicht nach auch die Frauenquote in der ÖVP-Europaparlamentsriege. Von den sechs Mandataren gab es zuletzt zwei Frauen – Elisabeth Köstinger und Ranner. Nach dem Strasser-Rücktritt wurde der frühere ÖVP-Europaabgeordnete Pirker als Nachfolger nominiert, für Ranner rückt laut Wahlliste der Generalsekretär des Seniorenbundes, Heinz Becker, nach. Aus dem Seniorenbund verlautete am Dienstag, dass Becker das Mandat annehmen wird. Damit sinkt die Frauenquote von 2:4 auf 1:5. Durch den Rücktritt Ranners könnte sich auch die für 5. April geplante Kür von Karas zum Delegationsleiter verzögern. Er will nämlich vor seiner Wahl mit allen anderen EU-ÖVP-Mandataren reden.

Nach dem Rücktritt Ranners dürfte sich der Druck auf Strassers designierten Nachfolger Hubert Pirker verstärken, der sich nach seinem Ausscheiden aus dem Europaparlament im Sommer 2009 als Lobbyist betätigt hat. Die Grüne EU-Abgeordnete Ulrike Lunacek forderte Pirker in einer Aussendung indirekt zum Mandatsverzicht auf. “Pirker mag formal seiner Lobbyisten-Tätigkeit abgeschworen haben, die Optik ist trotzdem eine fatale”, sagte sie. ÖVP-Chef Pröll müsse dafür sorgen, “jeden weiteren Anschein eines Lobbyisten-Skandals in der VP-Delegation schon im Vorfeld zu unterbinden”. BZÖ-Chef Josef Bucher kritisierte, dass mit Pirker “der nächste ÖVP-Lobbyist ins EU-Parlament” einziehe. Dieser habe auch die Adresse “von ÖVP-Saubermann Othmar Karas als Adresse seiner Lobbyingfirma in Brüssel verwendet”, so Bucher in einer Aussendung.

Die Causa Ranner könnte auch den Grazer Bürgermeister Siegfried Nagl (V) in Bedrängnis bringen. So erinnerten die steirische KPÖ und das BZÖ am Dienstag daran, dass Nagl wegen der Nominierung Ranners als Nachfolgerin des langjährigen steirischen Europaabgeordneten Reinhard Rack “Erklärungsbedarf” habe. Beide Parteien verlangten auch Ranners Rücktritt aus ihrer Funktion als Aufsichtsrat der Grazer Messe. BZÖ-Chef Josef Bucher teilte mit, in der Spesenaffäre eine Sachverhaltsdarstellung an OLAF geschickt zu haben.

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