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Vom Fußballstar zum Invaliden

Bastian Schweinsteiger & Co. sind nach dem 3:2 gegen die türkische EM-Equipe in Hochstimmung. Doch langfristig heißt's gesundheitlich aufpassen.

Fast drei Viertel der legendären deutschen Sieger-Elf des Jahres 1974 um Franz Beckenbauer, Berti Vogts und Gerd Müller haben heute schwer Hüft- oder Kniegelenksbeschwerden. Teilweise mussten sie schon in jungen Jahren mit künstlichen Gelenken versorgt werden, warnt der ehemalige deutsche Teamspieler und nunmehrige Sportmediziner Jupp Kapellmann.

“Über 70 Prozent der damaligen Spieler haben Hüft- oder Kniegelenksbeschwerden und sind teilweise mit Endoprothesen versorgt (implantierte künstliche Gelenke für Hüfte oder Knie, Anm.) – und das in einem Alter, in dem sie von der Endoprothetik normalerweise noch nichts hätten hören dürfen”, erklärte Kapellmann, bei der Fußball-WM des Jahres 1974 Mitglied der deutschen Equipe, aber dann nicht im Einsatz, in der angesehenen Münchener Medizinischen Wochenschrift (MMW).

Der in Rosenheim tätige Orthopäde und Sportmediziner kritisiert in dem Interview den Profisport hart: “Wenn so viele schon in jungem Alter endoprothetisch versorgt werden müssen, ist das kein Ruhmesblatt für den Hochleistungssport Fußball. Verletzungen werden häufig nicht adäquat auskuriert. Wenn ich noch einmal auf die Welt käme würde ich viel früher aufhören, bereits nach der ersten Verletzung. Gerade in der Orthopädie muss man langfristig denken. Ein Knorpelschaden braucht seine Heilungszeit (…).”

Gerade darauf werde oft vergessen – die Spieler laufen dann viel zu früh wieder auf den grünen Rasen, und sie können es scheinbar auch. Der Experte: “Dafür gibt es mehrere Gründe. Zum einen sind die Profis gut durchtrainiert, sie haben einen hervorragenden Muskelmantel. Dadurch geht die Rehabilitation bei ihnen viel schneller vonstatten. Zweitens haben sie eine ganz andere Motivation. Sie wollen so schnell wie möglich zurück an den Arbeitsplatz, weil sie das Geld hauptsächlich mit den Spielen verdienen. Der Unterschied zwischen den Prämien und dem Festgehalt ist enorm.” Die Langzeitfolgen stellen sich erst später ein.

Ein Positivum: Laut Kapellmann dürfte der Fußball vom Doping weitgehend verschont geblieben sein. Ein Gerd Müller des Jahres 1974 sei deshalb so schnell im Angriff gewesen, weil er sozusagen schon auf der Rückenmarkebene – nicht erst über den Umweg des Gehirns – auf Aktion schaltete: “Den hätte man auch mit dem besten Medikament nicht schneller machen können. Der Fußballsport ist eigentlich ungeeignet für Doping – bis auf die Vorbereitungsphase: Da gäbe es Möglichkeiten, die Ausdauer besser zu trainieren.”

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