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Volksschule Dorf Lauterach mit dem Staatspreis 2019, für Architektur und Nachhaltigkeit ausgezeichnet

©APA-Fotoservice/Schedl
Wien - Am 30. September 2019 verlieh Maria Patek, Bundesministerin für Nachhaltigkeit und Tourismus, den Staatspreis Architektur und Nachhaltigkeit an insgesamt 8 Preisträger.
Österreichischer Staatspreis 2019, für Architektur und Nachhaltigkeit

Der Staatspreis Architektur und Nachhaltigkeit unterstützt die nationale Klima- und Energiestrategie auf allen Ebenen. Erstmals im Jahr 2006 ausgelobt, ist das Ziel des Staatspreises schnell umschrieben: Zwischen höchsten Ansprüchen an die Baukultur und den Anliegen des Klimaschutzes für eine nachhaltige Entwicklung unserer Gesellschaft darf es keinen Widerspruch geben. Dafür braucht es ermutigende Beispiele, der Staatspreis muss diese auf höchstem Niveau liefern. Eine hochkarätig besetzte Jury aus Architektur und Umwelt entscheidet gleichberechtigt über die Auszeichnung: Nur Projekte, die sowohl in architektonisch-gestalterischer Hinsicht als auch in den vielfältigen Kriterien der Nachhaltigkeit vollends überzeugen, erhalten einen Staatspreis.

Entspannte Schule

Die Volksschule Dorf wirft sämtliche tradierten Bilder von „Schule“ über den Haufen und stellt das Dogma, dass nur sehr kompakte Gebäude nachhaltig seien, infrage. Als würden sie sich zum Reigen zwischen den alten Bäumen die Hände reichen, sind die eingeschossigen Pavillons der Volksschule Dorf im Halbkreis um das erhalten gebliebene Schulhaus aus den 1930er-Jahren angeordnet. „Diese Schule ist etwas ganz Anderes geworden, als alles, was wir uns vorher jemals unter einer Schule vorstellen konnten“, sagt Vizebürgermeisterin und Schulreferentin Doris Rohner. Immer vier Klassenzimmer – nach außen vorgelagert ein gemeinsamer Winter­garten, nach innen ein sogenannter Marktplatz – formen eine Bildungsinsel. Mit jeweils einem eigenen Eingang ausgestattet, wird jeder dieser Cluster zu einer kleinen Schule im größeren Gefüge; das verhindert morgendliche Staus und sorgt für eine höhere Familiarität. Rechte Winkel sind die Ausnahme, abwechslungsreiche Raumerlebnisse die Regel. Raumhohe Verglasungen, Oberlichten, hohe schmale und bodentiefe quadratische Fenster ebenso wie fünfeckige Durchbrüche sorgen für viel Tageslicht, Blickbeziehungen in die umgebende Natur und innerhalb des Raumkontinuums. Schiebeelemente gestatten es, Raumgrenzen flexibel aufzulösen. Es gibt Nischen zum Rückzug und eine Vielfalt an Möglichkeiten, abwechslungsreiche, entspannte Schultage zu gestalten.

Klassenzimmer Blumenwiese

Der Ganztagesbetrieb mit wechselnden Phasen des Arbeitens und Erholens bedingt nicht nur andere Räume für die Kinder, sondern auch für die Lehrerinnen und Lehrer. Das übliche Zimmer für das Lehrpersonal hat ausgedient. Die Marktplätze sind Wohn- und Arbeitszimmer für alle. Vertraulichen Gesprächen bie­tet das „Aquarium“, ein gläsernes Besprechungszimmer, einen akustisch abgeschotteten Raum. Ganz und gar nicht isoliert ist der abwechslungsreiche und attraktive Gartenbereich. Er umspült die ganze Anlage und ist von jedem Cluster aus direkt zugänglich. Sogar ein Teil der begrünten Dächer wurde den Kindern zugänglich gemacht, die hier im Schatten mächtiger Kronen von Buchen, Eichen und Linden den Kistengarten bewirtschaften, Freiluftunterricht genießen oder sich zum Lesen zurückziehen können. Artenreiche Blumenwiesen, mehrheitlich unversiegelte Freiflächen und eine überwiegende Errichtung des Neubaus auf Pfählen, um die Wurzelbereiche der Bäume nicht zu beeinträchtigen, sind ein wichtiger Beitrag zum Erhalt der Biodiversität und bilden ein naturnahes, auch von innen gut erlebbares Ambiente für die ganze Schulgemeinschaft. „Die Kinder waren von der ersten Sekunde an begeistert und fühlten sich zu Hause“, freut sich Direktorin Karin Flatz darüber, dass das anfangs nicht ganz unumstrittene Schulkonzept so gut aufgegangen ist. Was den jungen Menschen wahrscheinlich weniger bewusst ist, aber ebenso Anteil an ihrem Wohlbefinden hat, sind die hohen ökologischen Anforderungen, die ihre ungewöhnliche Schule erfüllt. Konse­quentes Produktmanagement bei allen eingesetzten Baumaterialien hält die Belastung durch Schadstoffe in den Innenräumen so gering wie möglich. Für frische Luft sorgt in jeder Klasse eine eigene Lüftungsanlage mit hohem Wärmerückgewinnungsgrad. Die Wintergärten dienen als Pufferzone, um die passive Solarenergie gut zu nutzen und eine Beschattung weit vor der eigentlichen Klimahülle platzieren zu können, ohne die natürliche Belichtung der Klassen zu beeinträchtigen. Automatisch gesteuert sorgen Nachtlüftung und außenliegende Beschattung für thermischen Komfort im Sommer.

Schulerinnerungen

So ein Wurf entsteht nicht von heute auf morgen, sondern bedarf einer langen Vor­bereitung inklusive intensiver Diskussionen. Ab 2005 wurde eine Bedarfsplanung durchgeführt, Standorte geprüft und ein Funktionsprogramm auf Basis eines zeit­gemäßen pädagogischen Konzepts erarbeitet. Als der Abriss des gesamten Bestandes bereits nahezu ausgemachte Sache war, legte eine Testplanung nahe, nur die späteren Erweiterungsbauten zu entfernen und die 1935 eröffnete „Urschule“ mit dem markanten Rundrisalit in der Eingangsachse zu erhalten, da sie Teil des kollektiven Gedächtnisses der Bevölkerung sei. Das machte die Aufgabenstellung für die Teilnehmer des 2012 entschiedenen EU-weit ausgelobten Realisierungswettbewerbes nicht unbedingt einfacher. Feyferlik/Fritzer gaben dem – im Inneren neu organisierten – Bestandsbau, der mit gedeckten Gängen an die neuen Pavillons angebunden ist, eine städtebaulich dominante Rolle innerhalb des Schuldörfchens. Er kennzeichnet den Hauptzugang und beherbergt die öffentlicheren und gemeinschaftlich genutzten Bereiche wie Aula, Bibliothek, Sonderunterrichtsräume und Administration. Dort findet sich auf einem Plakat ein Zitat des amerikanischen Bildungsexperten Paul F. Brandwein: „Es gibt kaum etwas Ungerechteres, als die Ungleichen gleich zu behandeln“. Diese Schule, die Kindern und Lehrkörper ein vielfältig bespielbares und äußerst wohnliches Angebot an Innen- und Außenräumen bereitstellt, bietet einen exzellenten Rahmen, um jedes Kind seinen Stärken und Schwächen entsprechend zu fördern. Nicht gefördert wird hingegen der motorisierte Individualverkehr. Auf dem Schulgelände gibt es viele überdachte Fahrradabstellplätze, aber keinen einzigen PKW-Parkplatz. Wer unbedingt mit dem Auto zur Schule kommen will, kann einen bewirtschafteten Parkplatz in der Nähe aufsuchen.

Fakten

Bauherrschaft: Marktgemeinde Lauterach ImmobilienverwaltungsGmbH & Co KG, Vizebgm Doris Rohner

Architektur: Architekturbüro Feyferlik/Fritzer, Karl Torghele (Bauphysik)

Fachplanung: SPEKTRUM Bauphysik & Bauökologie GmbH (Bauphysik),LPS GmbH (Haustechnik), DI Johann Birner (Statik)

Fertigstellung: 2018

Versorgungstechnik: Fernwärme, kontrollierte Be- und Entlüftung mit Wärmerückgewinnung, Free Cooling System

Besonderes: eingeschossige Pavillons mit jeweils einem Cluster für vier Klassen, Schulhof mit altem Baumbestand um die alte Schule, „Uhrturm” aus dem Jahre 1935, naturnahes Bepflanzungskonzept

Baustoffe: Stahlbeton mit Steinwolldämmung und Holzschalung, PVC-freie Baustoffe, umfassendes Produktmanagement

Qualitätssicherung: Blower Door Test, Energieverbrauchsmonitoring, Messung der Innenraumluftqualität

Gebäudebewertung: klimaaktiv Gold

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