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"Virginia Woolf" in der Burg

Jan Bosses durchaus gelungene "Virginia Woolf" feierte Samstag im Burgtheater Premiere.

So sehr jede Inszenierung für sich steht: Dem direkten Vergleich kann sich das Burgtheater angesichts der Häufung dieses genialen Ehefiaskos nicht entziehen. Dieser bleibt diesmal nämlich nicht nur fleißigen Theaterkritikern vorbehalten, auch das Wiener Publikum wird um die frische Erinnerung an die Volkstheater-Version größtenteils nicht herumkommen. Sofern es überhaupt den Drang verspürt, denn Stoff schon wieder zu sehen. Schließlich lässt einen “Virginia Woolf” nicht gerade kalt und kann durchaus dazu verführen, auch die eigene Beziehung zu hinterfragen.

Dass das Bühnenbild zu einem eigenständigen Sinnbild der destruktiven Ehe von Martha (Christiane von Poelnitz) und George (Joachim Meyerhoff) werden kann, zeigte man bereits mit der schrägen Plattform wenige Häuser weiter. Auch Jan Bosse bedient sich der Kulisse praktisch als fünftem Darsteller. Auf der sonst leeren Bühne hat Stéphane Laimé einen mit Ikea-Möbeln, -Lampen, -Büromaterial und -Bilderrahmen vollgestopften weißen Guckkasten positioniert. Eine wunderbare Übersetzung für das aus dem Katalog zusammengestückelte Dasein, das nicht nur “noch Wohnen” bedeutet, sondern “schon Leben”. Dass Joachim Meyerhoff, der als mal gelassener, mal wahnsinniger Ehemann brilliert, diese Kulisse binnen Minuten mit Faustschlägen, Tritten und einer Motorsäge zu Kleinholz macht, ist ein weiteres starkes Motiv, das sogar noch übertroffen wird, wenn in der Schlussszene wie von Geisterhand ein nagelneuer, identer Guckkasten via Hebebühne aus dem Boden wächst.

Einer von vielen Effekten dieser Inszenierung, der erste des Abends wird sogar mit Zwischenapplaus gewürdigt: Gläser braucht die daueralkoholisierte Martha nämlich überhaupt nicht mehr. Sie schöpft aus dem Überangebot an Schnapsflaschen im Bücherregal und kann diese, wie Christiane von Poelnitz eindrucksvoll vorführt, in einem Zug leeren. Sie klemmt die Flasche einfach zwischen einen Wandpfeiler und ihren Mund und vernichtet den Flascheninhalt von eineinhalb Litern sehr zum Staunen des Publikums freihändig. Überhaupt wird mit Flüssigkeit an diesem Abend nicht gespart: Da werden ganze Flaschen schon mal über Köpfe, Pullover und sogar in die Hose geschüttet, selbst das große Kotzen der dümmlichen Putzi (etwas zu hyperaktiv: Katharina Lorenz) wird von einer mit entsprechender Flüssigkeit gefüllten Flasche herbeigeführt. Und weil Jan Bosse das Klo von hinter der Bühne mitten ins Wohnzimmer verlegt hat, kann Von Poelnitz nicht nur vor aller Augen (aber glücklicherweise nicht wirklich) in eine Ikea-Aufbewahrungsbox pinkeln, Lorenz darf auch Wände, Sofas und ihren Mann Nick (ein herrlich an Barbie’s Ken erinnernder Markus Meyer) mit ihrem Mageninhalt dekorieren.

Auch geraucht wird an diesem Abend ohne Unterlass, was nicht weiter störend wäre, hätte man im Burgtheater nicht ironischerweise beschlossen, das Haus ab dieser Saison rauchfrei zu halten, sprich: Das qualmende Publikum ins Freie zu verbannen. Und so kommt es, dass der Saal während des dritten Aktes durch das Öffnen mehrerer Saaltüren (wohl zwecks Belüftung?) minutenlang von gewaltiger Zugluft erfüllt wird.

Überhaupt spielt der Saal eine große Rolle: Zahlreiche Auftritte werden über die Gänge absolviert, Meyerhoff verbringt einen Gutteil seines Spiels direkt vor der Bühne, wo er immer wieder in der ersten Reihe Platz nimmt und von dort mit seinen Kollegen auf der Bühne kommuniziert. So entsteht im Laufe des Abends viel (gewollte) Dynamik, die jedoch oft zulasten der Intimität geht, die vor allem in der beklemmenden Schlussszene unerlässlich gewesen wäre. Dennoch würdigte das Publikum am Ende dieser drei Stunden besonders das Ensemble mit herzlichem Applaus. Und “Faust” ist ja nicht verloren: Der designierte Burgtheater-Direktor Matthias Hartmann plant das Mammut-Projekt für seine erste Spielzeit.

“Wer hat Angst vor Virginia Woolf?” von Edward Albee. Regie: Jan Bosse. Weitere Termine und Karten unter http://www.burgtheater.at

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