Die Reinkarnation und Unsterblichkeit der Seele sind Vorstellungen, welche die Menschheit schon seit Jahrtausenden bewegt. Zu ihnen gehörte in der Antike auch schon der griechische Philosoph Pythagoras, der als Vierzigjähriger nach Süditalien auswanderte und im heutigen Kalabrien seine Lehre über die Seelenwanderung verbreitete. Den preisgekrönten italienischen Autor und Regisseur Michelangelo Frammartino zog es ebenfalls seit seiner Kindheit immer wieder in diese Region, in deren Dörfern die Zeit stehen geblieben zu sein scheint. Fasziniert von den archaischen Handwerkstraditionen im kalabrischen Hinterland, die von Generation zu Generation weiter gegeben werden, entwickelte Frammartino dort sein ungewöhnliches Filmprojekt “Vier Leben”, das am Freitag (16.9.) in Österreich startet.
Diese Elemente hat Frammartino in seinem nahezu dokumentarisch anmutenden Spielfilm zu einer lyrischen Geschichte vereint. Zunächst zeigt Frammartino den Alltag eines alten Hirten. Als der Greis, umringt von seinen Ziegen, im Bett stirbt, beginnt mit der Geburt eines jungen Zickleins das nächste Kapitel. Das kleine Tier verirrt sich im Wald und sucht Zuflucht unter einer Tanne. Dieser Baum wird gefällt und am Ende von den Köhlern in mineralische Materie verwandelt. “Alle Lebewesen haben eine Seele”, betont der Regisseur. “Man sieht es, wenn man in die Augen eines Tieres blickt. Man spürt es beim Rauscher einer großen Tanne im Wind. Man hört es, wenn die Holzkohle singt, als hätte sie eine eigene Stimme.”
Frammartino setzt in seinem Film völlig auf die Kraft seiner Bilder, in denen der Transformationsprozess vorsichtig angedeutet wird. Ähnlich wie die Menschen in Kalabrien, denen die Gemeinschaft mehr bedeutet als der materielle Wohlstand, resultiert auch die Stärke von “Vier Leben” aus vielen kleinen, scheinbar unwesentlichen Beobachtungen. Mit diesem unkonventionellen Werk, das 2010 in einer Nebenreihe des Filmfestivals Cannes ausgezeichnet wurde, ist Frammartino großartiges Kino gelungen, das außerdem nahezu ohne Dialoge auskommt. (dpa/APA)