AA

Heer: Flächendeckender Schutz nicht mehr gegeben

©APA
Der mit Spannung erwartete Bericht zum Zustand des österreichischen Bundesheeres ist fertig.

Er empfiehlt eine Erhöhung des Verteidigungsbudgets im kommenden Jahr von derzeit 2,2 auf 3,1 Milliarden Euro und eine schrittweise Anhebung auf ein Prozent des BIP bis 2030 sowie eine unverzügliche Entscheidung über die Ausgestaltung der Luftraumüberwachung.

APA

Der Bericht soll dazu dienen, den politischen Verantwortungsträgern "fundierte Entscheidungsgrundlagen" zu liefern. Er zeigt, dass das Bundesheer an einem Scheideweg steht. "Während die Bedrohungen für die Sicherheit der österreichischen Bevölkerung wachsen, ist die Leistungsfähigkeit des Bundesheeres für Schutz und Hilfe mangels notwendiger Ressourcen massiv gefährdet. Es ist nun Aufgabe der Politik zu entscheiden, welches Risiko für die Sicherheit der Österreicher in Kauf genommen werden soll", heißt es zusammenfassend in dem Bericht.

"Dramatischer Fähigkeitsverlust"

Verteidigungsminister Thomas Starlinger warnt einmal mehr, dass "die Fähigkeiten des Heeres in den vergangenen Jahrzehnten durch fehlende Investitionen massiv eingeschränkt wurden und der mittlerweile dramatische Fähigkeitsverlust des Bundesheeres massive Konsequenzen für Österreich hat". "Der Schutz der Bevölkerung kann schon heute nur mehr sehr eingeschränkt gewährleistet werden. Ganz Österreich muss sich daher die Frage stellen: Wie viel ist uns unsere Sicherheit wert?"

Der Minister weist darauf hin, dass "aufgrund der konfrontativen geopolitischen Entwicklungen und den bereits jetzt spürbaren großen Herausforderungen des Klimawandels im kommenden Jahrzehnt die Gefahren für die österreichische Bevölkerung zunehmen und dabei auch deutlich komplexer werden". "Das allgemeine Trendszenario für die nächste Dekade ist gekennzeichnet von einer Verschlechterung nahezu aller relevanten Parameter", heißt es in dem Bericht. Es drohen hybride Angriffe, systemische Terrorangriffe und Extremereignisse wie etwa Massenmigration, Blackout, Pandemien, Natur- und technische Katastrophen. Dabei ist das Bundesheer "momentan weit davon entfernt, seine verfassungsmäßigen Aufgaben vollumfänglich erfüllen zu können. Der Realzustand des Bundesheeres lässt nur ein eingeschränktes Leistungsspektrum zu".

Erhöhung der Budgets gefordert

Die Experten formulieren zehn konkrete Maßnahmen, die notwendig sind, um die drohende Pleite des Bundesheeres abzuwenden und das Militär zukunftsfit zu machen. Dazu zählen die Erhöhung des Verteidigungsbudgets auf drei Milliarden Euro in Verbindung mit einer schrittweisen Anhebung auf ein Prozent des BIP bis 2030, der sukzessive Abbau des Investitionsrückstaus, eine unverzügliche Entscheidung über die Ausgestaltung der Luftraumüberwachung, die Wiederherstellung der Einsatzfähigkeit der Miliz, eine Rückkehr zum Grundwehrdienst in der Dauer von acht Monaten mit verpflichtenden Milizübungen, Fokus auf den Schutz gegen neue hybride Bedrohungen und Cyber-Angriffe und eine schrittweise Erhöhung des Personalstandes auf 24.000 Bedienstete.

Die zehn notwendigen Maßnahmen

Der am Dienstag präsentierte Bundesheer-Zustandsbericht "Unser Heer 2030" zählt zehn notwendige Maßnahmen, um die drohende Pleite des Bundesheeres abzuwenden und das Militär fit für die Zukunft zu machen.

  1. Sofortige Erhöhung des Verteidigungsbudgets auf drei Milliarden Euro und schrittweise Anhebung auf ein Prozent des BIP bis 2030. Sukzessiver Abbau des Investitionsrückstaus.
  2. Unverzügliche Entscheidung über die Ausgestaltung der Luftraumüberwachung (Saab-Nachfolge).
  3. Wiederherstellung der Einsatzfähigkeit der Miliz.
  4. Rückkehr zum Grundwehrdienst von acht Monaten mit verpflichtenden Milizübungen.
  5. Fokus auf den Schutz gegenüber neuen hybriden Bedrohungen und Cyber-Angriffen.
  6. Fortsetzung der Teilnahme des Bundesheeres an internationalen Friedens- und Stabilisierungseinsätzen auf hohem Niveau entsprechend den Sicherheitsinteressen der Republik Österreich.
  7. Sicherstellung der Einhaltung der eingegangenen EU-Verpflichtungen.
  8. Erhöhung des Personalstandes auf 24.000 Bedienstete und Anpassung der dienstrechtlichen Rahmenbedingungen zur Gewährleistung der Einsatzbereitschaft.
  9. Weiterentwicklung der umfassenden Landesverteidigung.

Investitionsbedarf von 16 Mrd. Euro

Der Investitionsbedarf des Bundesheeres beträgt ganze 16,2 Mrd. Euro. Dieses Geld braucht es zusätzlich zur Erhöhung des Regelbudgets, um das Militär bei Ausrüstung, Waffen, Personal und Gerät auf den gewünschten Ist-Zustand zu bringen. Alleine für die gepanzerte Mobilität der Infanterietruppe braucht man sechs Mrd. Euro. Die Luftstreitkräfte brauchen inklusive Abfangjäger-Update 2,2 Mrd. Euro.

In den vergangenen Jahren hat das Bundesheer einen massiven realen Kaufkraftverlust erlitten. So betrug das Heeresbudget im Jahr 2010 2,12 Mrd. Euro. Der Bundesfinanzrahmen sieht für das Jahr 2021 2,14 Mrd. Euro vor. Berechnet man eine Inflationsrate von zwei Prozent, so müsste das Budget alleine dadurch auf 2,63 Mrd. Euro gestiegen sein und läge damit um 500 Mio. Euro über dem geplanten Wert. Der Zustandsbericht stellt das notwendige Budget bis in das Jahr 2030 dar. Im Jahr 2025 wird als Zwischenziel ein Verteidigungsbudget von 4,25 Mrd. angestrebt, im Jahr 2030 wird die Ein-Prozent-Marke gefordert.

APA

Lange Liste an Risiken

"Erfolgt keine rechtzeitige Bereitstellung von Mitteln, so werden bereits in den nächsten Jahren verschiedene Systeme des Bundesheeres ohne Ersatz ausgeschieden, wodurch die Streitkräfte weitere Fähigkeiten verlieren werden", warnen die Experten. Der Bericht zeichnet elf konkrete Risiken im militärischen Kernbereich. Dazu zählen der fehlende Schutz der Soldaten, unzureichende Luftraumüberwachung, fehlende bodengebundene Luftabwehr, fehlende Cyberverteidigung und fehlende Pionier- und ABC-Abwehr-Fähigkeit.

Und man schildert auch die entsprechenden Folgen: Werden die Abfangjäger keinem Upgrade unterzogen, hat dies zur Folge, dass die Flugzeuge nur am Tag Ziele identifizieren können, da keine Nachsichtfähigkeit gegeben ist. Bei Nacht ist der Einsatz zur Identifikation von Luftraumverletzungen nur durch Radar zu beobachten, es können keine aktiven Gegenmaßnahmen ergriffen werden.

Wird die bodengebundene Luftabwehr nicht kampfwertgesteigert, können Objekte am Boden nicht ausreichend vor Angriffen aus der Luft geschützt werden. Ohne Erneuerung des ABC-Geräts verliert das Bundesheer die Fähigkeit zum Erkennen von ABC-Bedrohung. Truppe und Bevölkerung können nicht vor Bedrohungen gewarnt werden. Notwendige Evakuierungen können nicht rechtzeitig durchgeführt werden. Die Truppe und Bevölkerung können nicht dekontaminiert werden.

Heer mit Personalsorgen

Das Bundesheer plagen aber nicht nur finanzielle Sorgen, sondern auch starke Personalabgänge. Pensionsbedingt werden bis 2030 etwa 8.300 Personen das Bundesheer verlassen. Die Zahl der Grundwehrdiener stabilisiert sich auf etwa 17.500 jährlich. Die Österreichische Sicherheitsstrategie gibt einen Gesamtrahmen von 55.000 Soldaten vor. Daraus ergibt sich laut Bericht ein Bedarf von 24.000 Berufssoldaten und Zivilbediensteten zusätzlich.

Nach den bisherigen Aussagen des Ministers zu urteilen, fehlen zig Milliarden Euro.

  • VIENNA.AT
  • Politik
  • Heer: Flächendeckender Schutz nicht mehr gegeben
  • Kommentare
    Kommentare
    Grund der Meldung
    • Werbung
    • Verstoß gegen Nutzungsbedingungen
    • Persönliche Daten veröffentlicht
    Noch 1000 Zeichen