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"Vernissage My Heart": Bilderbuch bringt neues Album heraus

Am 22. Februar erscheint das neue Album von Bilderbuch.
Am 22. Februar erscheint das neue Album von Bilderbuch. ©APA/HERBERT PFARRHOFER
Ab 22. Februar ist das neue Album von Bilderbuch erhältlich. Mit dem neuen Album zeigt sich Bilderbuch der Freiheit zugetan.

Viel Grund zur Freude für die stolzen Eltern: Nachdem im Dezember ohne große Ankündigung “mea culpa” das digitale Licht der Welt erblickte, schenkt Bilderbuch dieser Platte mit “Vernissage My Heart” nun ein Geschwisterchen. Ab 22. Februar sind beide Alben in sämtlichen Varianten – von Streaming bis Vinyl – erhältlich. Und man muss sagen: Sie sind eine schöne Bereicherung für die Familie.

Bilderbuch: Band in Kremsmünster gegründet

Die Grundprämisse des noch jungen Vorgängers bleibt auch diesmal gültig. Die Indie-tauglichen Anfangstage oder das wild Zuckende einer “Maschin” wollen Maurice Ernst, Michael Krammer, Peter Horazdovsky und Philipp Scheibl nicht wiederbeleben. Es geht der in Kremsmünster gegründeten Band vielmehr um die Lust am Neuen, um das Überschreiten von Grenzen und das Zusammenführen der eigenen Vorlieben. Beispielsweise kommt kaum eine Bilderbuch-Nummer ohne ausgiebigem Gitarrensolo aus – aber eben nicht im typischen Rock’n’Roll-Stil, sondern gebeugt, gebrochen, neu ausgelotet.

Dabei gleicht der Beginn von “Vernissage My Heart” einem schelmischen Nicken in diese Richtung, wenn “Kids im Park” dröhnt, der Verzerrer strapaziert wird und Ernst festhält: “Wir wollen brennen wie die Superstars.” Breitbeiniger Rock in Ledermontur? Ja, das könnte Bilderbuch auch, nur scheut sich das Quartett aus gutem Grund vor Eindeutigkeit und abgehalfterten Zugängen. Stattdessen biegt man sofort in “Frisbeee” ab, dieser eingängigen Chillout-Nummer, die lockerflockige Sommertage heraufbeschwört und unverschämt gut nach den 90ern in neuer Bearbeitung klingt.

“Vernissage My Heart”: 17 Songs in zirka 70 Minuten

Spätestens bei “LED go”, der aktuellen Single mit dazugehörigem Billardkugeln-Spaß-Video, steht dann fest: Artifizieller Entdeckungsgeist und instrumentale Finesse geben sich Hand in Hand. Wirkte in dieser Hinsicht das 2015 veröffentlichte “Magic Life” manchmal eine Spur zu verkopft, hat Bilderbuch nun die richtige Balance gefunden. Es dürfen die Synthies fiepen, die Gitarren jaulen, die Beats knallen. Dazu grast Ernst das Lebensgefühl 2019 ab, kommt von Spaceship und Bitcoins zur Hitze der Stadt und “einer Freiheit nicht zu denken”.

Man könnte “mea culpa” auch als Übergang definieren, letztlich wird dank “Vernissage My Heart” nun vieles klarer: Diese insgesamt 17 Songs in gut 70 Minuten, verteilt auf zwei Platten, greifen ineinander, stellen Querverweise her und sind doch in ihrer Energie unterschiedlich geartet. Eben zwei Seiten einer Medaille. Die künstlerische Freiheit wird bis zum Äußersten ausgereizt, ohne in Beliebigkeit auszufransen. Ob das die Hits für eine neue Generation sind? Jedenfalls Songs mit dem Potenzial zum Nachwirken. Oder eben wie es im großen Abschluss “Europa 22” heißt: “Ein Leben ohne Grenzen.” Sicherlich nicht der schlechteste Gedanke in der heutigen Zeit.

Sänger Mourice Ernst im Interview

Zuerst wurde “mea culpa” im Dezember ohne Vorankündigung in den digitalen Äther geworfen, nun folgt das zweite Album “Vernissage My Heart” im klassischen Veröffentlichungsmodus: Bilderbuch geht aktuell mehr denn je einen eigenen Weg. Maurice Ernst, Sänger der österreichischen Erfolgsband, sprach mit der APA über den kreativen Prozess, musikalische Balance und den Begriff Freiheit.

Wie wichtig war für Sie das Wie bei der Veröffentlichung dieser Platten?

Maurice Ernst: Der kreative Prozess hört heutzutage nicht mehr dort auf, wo die Platte musikalisch beendet ist. Das Veröffentlichen ist Teil davon. Wir sind in einer Zeit, in der wir unfassbar direkt sein können. Man muss die Härte haben und klassische physische Verkäufe hintenanstellen. Natürlich ist es eigentlich ein Schuss ins Knie, so zu arbeiten. Aber die Zeit fordert uns auch heraus. Bei “mea culpa” war das ein riesengroßer Anreiz zu sagen: Wir stellen Musik hin und schauen, was passiert. Wir geben keinen Beipackzettel, keine Erklärung, keine Kampagne dazu. Gleichzeitig glaube ich, dass ein Künstler schon die Aufgabe hat, seine Musik zu kuratieren. Und ein Album fasst das schön zusammen.

Aber Aufmerksamkeit braucht es dazu doch auch, oder?

Ernst: Vielleicht begrenzte Aufmerksamkeit. Du erreichst ja auch unterschiedliche Leute über Facebook oder Instagram. Zum Teil schießen wir an einigen, die vielleicht bei “Bungalow” oder “Maschin” dabei waren, ganz bewusst vorbei. Es ist eine sehr selbstbewusste und arrogante Art und Weise zu veröffentlichen. Du kannst ja nicht erwarten, dass jeder potenzielle Bilderbuch-Fan, der sich nach neuer deutschsprachiger Musik sehnt, irgendetwas mitbekommt. Man darf sich nicht zu viel erwarten, man wird keine neue Schallmauer durchbrechen – in erster Linie. Aber das Nachwirken ist interessant. Es geht um das Längerfristige.

Wollten Sie damit die Musik stärker in den Vordergrund rücken?

Ernst: Ja, genau! Es ging für uns auch um die Frage, was wir sind. Nach dem Motto: Schuster, bleib bei deinen Leisten. Wollen wir noch mehr Medienkünstler werden, noch mehr Instagram-Model oder für Image und Lifestyle stehen? Nein, wir sind in erster Linie Musiker. Das ist die Essenz. Wir wollen nicht mehr machen, nicht mehr herzeigen, obwohl das vielleicht erfolgreicher wäre. Wir haben relativ unprätentiös Musik in den Vordergrund geschoben. Natürlich muss man es da und dort wieder ausschmücken. Aber der reine Versuch war schon sehr wichtig.

Musikalisch zeigt sich “Vernissage My Heart” sehr ausgewogen, handgemachte und artifizielle Sounds werden zusammengeführt. War es schwierig, diese Balance zu finden?

Ernst: Nicht wirklich. Wir haben in erster Linie sehr viel zugelassen. Wir hatten also keine Idee, was wir machen wollten, sondern sind nach Kroatien gefahren und haben uns zwei Wochen in ein Haus gesetzt mit der Frage: Was würde passieren, wenn wir heute anfangen, Musik zu machen? Ohne Ideen, ohne Vorgaben. Da passieren dann unterschiedliche Dinge, es entstehen ganz unterschiedliche Gefühle, weil auch unterschiedliche Menschen unter einer Flagge gemeinsam Musik machen. Mit den beiden Alben hat es dann die Möglichkeit gegeben, es dramaturgisch schön zu setzen. Kein Wirrwarr, stattdessen wird so unsere Schizophrenie und unsere Freiheit abgebildet. Wo “mea culpa” vielleicht eher ein Abschluss war, auf eine gewisse Art zu arbeiten, ist “Vernissage” der Aufbruch in den Raum und zeigt, wo es vielleicht hingegen kann.

In den Songs geht es stark um heutige Themen, findet der digitale Alltag seinen Widerhall…

Ernst: Ein schwarzes Display ist für mich ein viel klareres Symbol als etwa Raureif auf einer Blume. Das versteht jeder. Nur weil das vorkommt, geht es aber nicht um Marken. Bullshit, das ist das Leben! Wir sind auch nicht Cloudrap, nur weil ein Handy vorkommt. Scheinbar ist die Welt noch nicht ganz reif dafür, weil noch kein poetischer Umgang mit diesen Dingen gefunden wurde. Man muss Stereotypen einfach mal austauschen. Es geht darum, wie man das digitale Gefühl, das uns umgibt, umsetzt.

“Vernissage My Heart” arbeitet stark mit dem Begriff Freiheit. Ist das politisch konnotiert?

Ernst: Unbedingt. Natürlich muss man aufpassen: Es gibt ja nicht nur eine Freiheit, sondern eine künstlerische, eine individuelle, eine gesellschaftliche. Da wird es extrem spannend. “Die Freiheit fängt bei mir alleine an”, kann nur ich singen, und nicht jemand aus einem weniger privilegierten Land. Trotzdem ist es wichtig, diesen Begriff zu traktieren und sich damit auseinanderzusetzen. Der muss einem bewusst werden. Das ist sicher eines unserer Hauptmotive: Wenn wir von Freiheit singen, dann deshalb, damit man checkt, dass man sie hat und damit umgehen muss. Das bedeutet auch, eine persönliche Verantwortung zu übernehmen.

Nicht nur in Österreich spricht man von einer gespaltenen Gesellschaft. Ist das Ihr Beitrag zu dieser Diskussion?

Ernst: Sicher! Der romantische Gedanke an zwei Alben ist ja, dass es nicht nur eine Meinung, nicht nur eine Seite gibt. Man kann Dinge auf verschiedene Arten sagen. Du darfst als Musiker auch unkonkret sein und Sachen probieren. Klar kriegen wir das mit und wollen für einen positiven Vibe sorgen. Eine “Vernissage My Heart” soll niemanden auf eine Seite ziehen, und ein Song wie “Europa 22” ist einfach nur ein Lied über Hoffnung. Ich bin jetzt 30 geworden, bin Europäer und habe ein Erbe. Darum geht es öfter auf der Platte, um ein Wachwerden und dass man dieses Gefühl wieder spitzt.

Wie konkret möchten Sie als Musiker in dieser Hinsicht sein?

Ernst: Ich glaube nicht, dass ein Facebook-Post von Bilderbuch mehr Kraft hat als ein Song wie “Babylon”. Davon bin ich einfach überzeugt! Ganz ehrlich: So ein Song, der eher unter der Oberfläche herumwuselt, wird sich länger halten als der Kickl (Innenminister Herbert Kickl, Anm.). Das ist ein schöner Gedanke: Wenn ich meine Arbeit gut mache, habe ich eine Längerfristigkeit und Tragweite, die einen Politiker vielleicht sogar übersteigt. Da rede ich nicht von ewig während, aber von einer mittelfristigen Sache. Natürlich muss man die Augen offen halten, eh klar. Wenn du einen bewussten Umgang mit deinen Inhalten pflegst, ist das nicht wenig Arbeit. Ich will aber nicht die Leistung von sehr aktiven Bands schmälern, die sich zur Aufgabe gemacht haben, ganz konkret zu sein. Aber wir wollen in unserer Erhabenheit eher unantastbar bleiben und dadurch eine Kraft entwickeln, die positiv ist. Uns ist ja das Album als Kommentar zur Zeit, in der man es macht, sehr wichtig.

(APA/Red)

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