Verlogene Impfpolitik

Die Pandemie überfordert alle, viele machen Fehler. Ex-Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) ging sprichwörtlich daran zugrunde, er ist zurückgetreten. Ex-Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) musste sich aus anderen Gründen, aber doch verabschieden. Es ist nicht so, dass jetzt alle gehen müssen. Angebracht wäre es aber bei jenen, die nicht bereit sind, aus Fehlern zu lernen; die Teile Österreichs so fahrlässig tief in mehrere Infektionswellen geraten ließen, dass Spitäler am Rande des Zusammenbruchs standen; die im Herbst eine Impfpflicht durchgesetzt haben, jetzt aber davon abrücken. Die Rede ist von Landeshauptleuten.
Es hat schon etwas von einer Staatskrise, die hier herbeigeführt wird: Die Impfpflicht ist ein schwerwiegender Grundrechtseingriff, aber damit begründet worden, dass sie notwendig sei, um im Hinblick auf künftige Infektionswellen eine nachhaltig hohe Durchimpfungsrate zu gewährleisten. Einige waren dagegen, viele mussten tief durchatmen. Abgeordnete, die im Parlament zugestimmt haben, berichten glaubwürdig, wie schwer ihnen das gefallen ist. Kaum einem ist verborgen geblieben, dass man sich das Ganze möglicherweise erspart hätte, wenn man früher mit Aufklärung über mögliche Wirkungen und Nebenwirkungen einer Impfung begonnen hätte. Doch das hat man verschlafen.
Jetzt gilt die Impfpflicht, doch ausgerechnet ein Landeshauptmann nach dem anderen, der sich im November dafür ausgesprochen hatte, will nichts mehr davon wissen. Neben dem Kärntner Peter Kaiser (SPÖ) zweifelt auch der Salzburger Wilfried Haslauer (ÖVP), dass sie noch notwendig ist, um eine Überlastung der Spitäler zu verhindern. Der Oberösterreicher Thomas Stelzer (ÖVP) regt an, Ungeimpfte nicht groß zu bestrafen.
Diese Leute sind nicht mehr ernst zu nehmen. Wie erwähnt gilt die Impfpflicht als Vorsorge für künftige Wellen, die im kommenden Herbst und Winter daherkommen. Wichtiger aber ist dieser Punkt: Mit Beschluss der Impfpflicht haute der Staat auf den Tisch, dass es nur so krachte. Geht es nach Kaiser und Co., soll er sie nun de facto ignorieren.
Ein solcher Staat ist eine Zumutung, er ist unglaubwürdig wie unberechenbar. Er verleitet Bürgerinnen und Bürger dazu, auf Gesetze zu pfeifen. Ist doch egal! Wenn das viele tun, passiert ohnehin nix!
Weniger unredlich wäre es, diese Landeshauptleute würden sich gemeinsam hinstellen, erklären, dass ihre Idee, nämlich die Impfpflicht einzuführen, eine schlechte Idee war und dass sie daher das Parlament ersuchen würden, die Impfpflicht wieder zu streichen. Punkt.
Ganz offensichtlich trauen sie sich das aber nicht. Sie wollen nur, dass jetzt nicht ernst gemacht wird. Sie haben Angst vor den Freiheitlichen von Herbert Kickl und der impfgegnerischen MFG. Zurecht. Die beiden zusammen wären bei einer Wahl am kommenden Sonntag mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit stärker als die ÖVP oder die SPÖ. Jetzt mag man sie nicht bestätigen, indem man die Impfpflicht hochoffiziell wieder streicht. Man mag ihnen auch nicht noch mehr Stimmen bescheren, indem man Hunderttausende abstraft. Man glaubt, irgendeinen verlogenen Weg dazwischen nehmen zu müssen.
Johannes Huber betreibt den Blog dieSubstanz.at – Analysen und Hintergründe zur Politik