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"Vergessener" Bürgermeister

Wie sehr auch in der Geschichte der Kommunalpolitik das Vergessen regiert, zeigt die kürzlich erschienene Bürgermeister-Biographie über Richard Weiskirchner (1861-1926).

Verfasst wurde das Buch von dem Historiker und Mitarbeiter der Wienbibliothek im Rathaus, Christian Mertens. Zwar erinnert noch die Weiskirchnerstraße im 1. Bezirk an den unbekannten christlich- sozialen Politiker, der, als Verwaltungsjurist, unter Karl Lueger zum Magistratsdirektor aufgestiegen war und ab 1912 als “Weltkriegs”-Bürgermeister die Geschicke der Stadt bis zur Wahl 1919 lenkte, darüber hinaus scheint Weiskirchner, der auch Reichstagsabgeordneter und Handelsminister war, vollkommen vergessen zu sein.

Auch Weiskirchners weiterer politischer Lebensweg, der ihn nach der verlorenen Kommunalwahl 1918/19, die mit einem deutlichen Sieg der Sozialdemokraten und Jakob Reumann als neuen Bürgermeister Wiens endete, bis zum Präsidenten des Nationalrats brachte, blieb im Rückblick seltsam farblos. Folgt man der Biographie Mertens, dann endete Weiskirchner dort, wo viele Politiker enden: In einer recht bizarren Ämterkumulation, die damals von Seiten der “Arbeiter Zeitung” heftigst kritisiert wurde. Mertens Erklärung, Weiskirchner müsse als Pragmatiker, und weit weniger als Charismatiker á la Lueger eingeschätzt werden, klingt nicht zuletzt angesichts ähnlich klingender Einschätzungen von damalige Zeitgenossen als stimmig, wiewohl die Frage des erinnernden Umgangs mit nicht-charismatischen Politiker- Persönlichkeiten offen bleiben muss.

Wesentliche Lücke in der Kommunalpolitik geschlossen

Mertens Biographie darf man als ausgesprochen faktengetreue und quellennahe Arbeit werten, die weniger den Anspruch erhebt, eine neue Theorie, etwa über die christlich-soziale Partei in Wien nach dem Tod Luegers zu entwickeln, als vielmehr eine erstaunliche biographische Lücke in der kommunalpolitischen Zeitgeschichte solide geschlossen zu haben. Insbesondere ist auch der brauchbare Anhang sämtlicher Anträge Weiskirchners, mitsamt Literaturverweisen und virtuellen Links zu erwähnen. Eine Zeittafel mit den wichtigsten Lebensdaten Weiskirchners, wie auch relevanter kommunalpolitischer Ereignisse wäre hilfreich gewesen.

Ebenso eine großzügigere Handhabung bei der Verwendung von Bildmaterial: Im Buch findet sich neben einigen gut ausgewählten Karikaturen aus der damaligen Wiener Tagespresse nur ein einziges Bild von Weiskirchner, welches, die Vergessenheit seiner selbst gleichsam illustrierend, ihn allein im viel zu groß wirkenden Interieur seines Arbeitszimmers – mitsamt übermächtig wirkenden Porträt Joseph II. – zeigt.

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