Verborgene Gewalt: Taten mit Lügennetz abschotten
Das Lügen hat grundsätzlich jeder in sich, weiß Cornel Binder-Krieglstein vom Berufsverband der österreichischen Psychologen. Ob und wie weit man dem Kräftespiel zwischen “Gut” und “Böse” nachgibt, komme auch auf die Entwicklung der moralischen Instanz des Einzelnen an.
“Grundsätzlich ist es so, dass Menschen mit kleinen Schritten anfangen”, meinte Binder-Krieglstein. Im aktuellen Fall in Amstetten habe der mutmaßliche Täter auch nicht von heute auf morgen das Opfer eingesperrt. “Die Lüge ist ein Konstrukt, um sich selbst zu rechtfertigen und sich nach außen hin zu schützen. Dabei ist relativ bald der Punkt erreicht, wo es kein Zurück mehr gibt.” Beispiel Mann, der seine Ehefrau betrügt: “Er sagt, ‘Ich gehe einkaufen’ und fährt zur anderen. Wenn man sich so etwas aufbaut, dann kann man irgendwann nicht mehr zurück zur Wahrheit.”
Im aktuellen Fall in Amstetten hätte man z. B. auch nicht sagen können: “Das Kind ist in einer Sekte” und am nächsten Tag: “Jetzt ist es wieder da”, sagte Binder-Krieglstein. “Da braucht man dann schon Hilfslügen, die das Lügenkonstrukt stützen und das wird dann relativ komplex. Da hilft es nur noch, abzuschotten und wenig Informationen nach außen zu lassen, sich zurückzuziehen.”
Es brauche aber nicht nur eine “Grundbereitschaft” zum Lügen, sondern gleichzeitig die Möglichkeit dazu: “Es kommt auch darauf an, wie sehr das System funktioniert”, so der Experte. Es brauche eine entsprechende Umgebung, ein “Umfeld mit verminderter Kritikfähigkeit, das sich – aus welchen Motiven auch immer – mit einfachen Antworten zufrieden gibt.”
Den Umgang mit Lügen lerne man ungefähr im Volksschulalter, das gehe einher mit der Entwicklung der eigenen moralischen Instanz, so Binder-Krieglstein. “Da probiert das Kind Lüge und Wahrheit aus. Das ist die Basis des Systems Lüge.” Es gebe im Menschen eine Art Gleichgewicht: Fällt einem -“wenn überhaupt” – eine Lüge als Mittel ein, um sich einen Vorteil zu verschaffen, werde abgewogen, was stärker bewertet werde: Wahrheit oder Vorteil. Gemessen werde am jeweiligen gesellschaftlichen, sozialen und moralischen Bewertungssystem. Auch psychologische Krankheiten könnten die so genannte kriminelle Energie beeinflussen.