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Vegetarische Haubenküche im Tian in Wien: "Es gibt noch Berührungsängste"

Im Tian steht nur Vegetarisches auf der Speisekarte.
Im Tian steht nur Vegetarisches auf der Speisekarte. ©Isabella Abel
Spargel, ein bisschen Ingwer, viele Kräuter. In den Pfannen von "Tian"-Chefkoch Paul Ivic brutzelt es. Nur eines findet man in seiner Küche nicht: Fleisch und Fisch. Mit seinen vegetarischen Kreationen hat er sich zwei Hauben und einen Michelin-Stern erkocht.
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“Ich wollte aufzeigen, dass vegetarische Küche auch gut sein kann – jenseits von langweilig, Tofu und Getreide”, erklärt Ivic im Gespräch mit der APA, warum er sich für das fleischlose Kochen begeistert und schließlich vor zwei Jahren als Küchenchef ins “Tian” in der Himmelpfortgasse in der Wiener Innenstadt kam. Kollegen und Freunde erklärten die Idee der vegetarischen Spitzengastronomie schlicht für “irre” und “einen Wahnsinn” und rieten Ivic von dieser Entscheidung ab: “Sie haben gesagt: Mit vegetarischer Küche wirst du nie zu deinem Ziel kommen.”

Vegetarische Küche als Herausforderung

Aber der gebürtige Tiroler, der zuvor im “Taubenkobel” als Souschef unterwegs war, ließ sich nicht beirren: “Die Herausforderung war definitiv größer, als ich erwartet habe. Es braucht vor allem eine Umstellung im Denken – am Anfang habe ich noch oft gemeint, eine Jakobsmuschel oder ein Flusskrebs würde hier gut passen.” Aber nicht nur die Geschmäcker – vor allem rein vegetarische Saucen stellten das “Tian”-Team vor eine Herausforderung -, auch die Suche nach qualifizierten Mitarbeitern erwiesen sich in den ersten Monaten als kleine Stolpersteine. “Niemand hat gewusst, wohin die Reise geht. Da war teilweise sehr viel Überzeugungsarbeit nötig”, berichtete Ivic.

Koch stößt immer wieder auf Vorurteile

“Weil die Assoziation zum Vegetarischen ist einfach: Hummus, Tofu und irgendwelche Seitan-Würstl – das will kein guter Koch machen”, erklärte der Küchenchef. Sowohl bei Kollegen als auch im Freundeskreis stößt der Koch immer wieder auf Vorurteile. “Bis sie einmal da waren”, schmunzelte Ivic. Dann wundern sich vor allem die Kollegen und beginnen zu diskutieren, wie denn so ein Geschmack in die Sauce kommt – und das ganz pflanzlich. “Da gibt es schon noch Berührungsängste”, meinte der Spitzenkoch.

Auch wenn fleischlose Kost in Ivics Einschätzung noch nicht ganz in der Spitzengastronomie angekommen ist, ortet er ein wachsendes Bewusstsein für nachhaltige, vegetarische Ernährung – ganz im Gegensatz zu früher. “Wenn früher ein Vegetarier ins Restaurant gekommen ist, haben wir halt ein Risotto gemacht – und trotzdem Hühnerfonds verwendet.”

Philosophie im Tian in Wien

Heute verzichtet Ivic manchmal sogar auf alle tierischen Produkte, auch wenn veganes Essen nicht explizit im Fokus des “Tian” steht: “Wir sind ja nicht auf Vegetarier oder Veganer spezialisiert, sondern auf Menschen die bewusst genießen.” Gekocht wird daher nur, was schmeckt – egal ob vegetarisch oder vegan. Der Verzicht auf beispielsweise Butter sei aber doch schwer: “Man könnte ja Margarine nehmen, aber das ist ein chemischer Bullshit, das würde ich niemals in meiner Küche verwenden.” Denn die Qualität der Produkte, von Erzeugern, die nachhaltig und mit Leidenschaft arbeiten, steht für den Koch an erster Stelle.

Ein Stern für das Haubenlokal

Auch wenn der Anfang manchmal holprig war, inzwischen stimmt nicht nur die Auslastung, sondern auch die Bereitschaft und Begeisterung der Gäste: “Das war nicht immer so. Gäste glauben gerne, vegetarisch muss einfach günstig sein. Aber das ist ein kompletter Irrglaube, weil gerade vegetarische Küche auf diesem Niveau ist teurer als wenn ich mit Fisch und Fleisch koche.” Inzwischen sei man aber angekommen – ganz ohne Vorbilder, bei denen man sich das eine oder andere abschauen hätte können. Bestätigung gibt es nicht nur von den Gästen, sondern auch von der Gastrowelt: Als weltweit viertes vegetarisches Restaurant hat sich das “Tian” unlängst seinen ersten Michelin-Stern abgeholt.

Bewusstsein wichtiger als strenge Regeln

Beschwerden von eingefleischten Tieressern hat Ivic noch kaum bekommen, im Gegenteil: Manch einer kann sich nach einem Besuch im “Tian” vorstellen, öfter vegetarisch zu essen. “Sicher gibt es Leute, die mit unserer Küche nichts anfangen können, aber es gibt auch Menschen, die auf Audi schwören, nur Mercedes fahren oder auf BMW schimpfen, auch wenn alle drei hochwertige Autohersteller sind”, so der Chef de Cuisine, der selbst übrigens kein Vegetarier ist: “Wenn ich einen Top-Fisch bekomme, dann kaufe ich den auch gerne und genieße ihn auch.” Dem Küchenchef geht es mehr um Bewusstsein als um strenge Regeln.

Der nächste Schritt ist für Ivic die Etablierung: “Etabliert ist man, wenn man seit Jahren auf höchstem Niveau arbeitet und wenn es heißt: Da muss man einmal gewesen sein.” Ob er – zwei Hauben und einen Michelin-Stern später – immer noch gerne ab und zu eine Jakobsmuschel verkochen würde? “Das hat sich völlig aufgelöst. Das ist wie wenn man in einem fremden Land ist und plötzlich in der Sprache träumt. Dann weiß man, man ist richtig drinnen.” (APA)

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