AA

USA: Prozess gegen Lynndie England?

Der Skandal um die Misshandlung irakischer Gefangener im Gefängnis von Abu Ghraib hat ein Gesicht: das von Lynndie England. Jetzt wird entschieden, ob ihr der Prozess gemacht wird.

Die Fotos, auf denen die klein gewachsene US-Soldatin mit dem kurzen Haar lachend einen nackten irakischen Gefangenen an einer Hundeleine hält, gingen um die Welt. Die 21-Jährige wurde von der US-Militärjustiz wegen Misshandlung und Demütigung Gefangener, wegen Verletzung von Dienstvorschriften und Diskreditierung der Armee angeklagt. Am heutigen Montag muss die Schwangere vor einem Militärtribunal erscheinen. Dort soll zunächst darüber entschieden werden, ob Lynndie England überhaupt der Prozess gemacht wird.

Die Anhörung vor dem Gericht in Fort Bragg im US-Staat North Carolina könnte sich bis Freitag hinziehen. Bis dahin will sich die Offizierin Denise Arn ein Bild von dem Fall machen und darüber befinden, ob die Beweislage für ein militärgerichtliches Verfahren ausreicht. Sie wird eine Empfehlung an den Kommandanten der 18. Luftlandedivision, Generalleutnant John Vines, geben. Dieser hat das letzte Wort und kann auch die Einstellung des Falles anordnen oder die außergerichtliche Bestrafung der Angeklagten. Insgesamt wurden in dem Skandal um die Misshandlung Gefangener in dem Horrorgefängnis von Abu Ghraib bei Bagdad sieben US-Soldaten angeklagt, unter ihnen drei Frauen. Der 24-jährige Jeremy Sivits wurde im Mai als erster der Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt; er hatte sich schuldig bekannt.

Dass ausgerechnet England die Prominenteste aller Angeklagten ist, liegt an den vielen Missbrauchfotos, auf denen sie abgebildet ist. Auf der Titelseite der „Washington Post“ war sie zu sehen, wie sie einen nackten irakischen Gefangenen, der sich vor ihr am Boden krümmt, in einem Korridor der Haftanstalt an der Leine hält. Zuvor zirkulierten Fotos, die sie grinsend vor einem Haufen nackter Körper zeigen, oder wie sie, eine Zigarette rauchend, auf die Geschlechtsorgane nackter Gefangener zeigt. In den US-Medien wurde ihre Geschichte aufgegriffen: wie es sie von ihrer Heimat in West-Virginia, wo sie in armen Verhältnissen aufwuchs, in das Gefängnis in der Nähe von Bagdad verschlug. Als die ersten Bilder an die Öffentlichkeit gelangten, rief die junge Soldatin nach Informationen der „Washington Post“ ihre Mutter an und sagte: „Mama, ich war zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort.“ England bestand stets darauf, lediglich Anordnungen befolgt zu haben.

Die Eltern verteidigen ihre Tochter ohne Wenn und Aber. Ihre Mutter, die mit ihrem Mann in einem Wohnwagen in Fort Ashby lebt, sagte der „New York Times“, ihre Tochter habe all dies nur getan, weil sie von Vorgesetzten dazu angewiesen worden sei. Nach Angaben der Eltern war ihre Tochter begeistert, mit der 372. Kompanie der Militärpolizei in den Irak geschickt zu werden; nach und nach aber sei sie desillusioniert worden. Lynndie England hatte im Gefängnis von Abu Ghraib Verwaltungsaufgaben und war oft in den Gängen der Haftanstalt unterwegs, weil sie in einen Soldaten namens Charles Graner verliebt war. Auch der 35-jährige Graner soll an den Misshandlungen beteiligt gewesen sein. Nachdem sie Anfang des Jahres von Graner schwanger wurde, kehrte die Soldatin in die USA zurück. In ihrer Heimat muss sich England nun in neun Anklagepunkten behaupten. Erst am Samstag legte das Gericht in Fort Bragg die Erweiterung der am 7. Mai erhobenen Anklage um fünf Punkte fest, die jedoch nichts mit irakischen Gefangenen zu tun hätten, sondern mit der Verletzung einer Dienstanordnung.

  • VIENNA.AT
  • Chronik
  • USA: Prozess gegen Lynndie England?
  • Kommentare
    Die Kommentarfunktion ist für diesen Artikel deaktiviert.