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USA: Lea und Tabea in verzweifelter Lage

Schicksalsstunden für Lea und Tabea: Nach Komplikationen haben die Ärzte in den USA die Trennung der Siamesischen Zwillinge aus Lemgo in Westfalen am Sonntag abgebrochen.

Eines der am Kopf zusammengewachsenen Mädchen habe in der Nacht auf Sonntag „unregelmäßige Lebenszeichen“ entwickelt, teilte die Klinik im amerikanischen Baltimore mit. Dann herrschte Schweigen. Elf Stunden später hatten sich die Ärzte noch immer nicht durchgerungen, die Marathonoperation fortzusetzen oder aufzugeben.

Lea und Tabea sind an der Schädeldecke zusammengewachsen und hatten von vornherein nur eine 50-prozentige Chance, die Trennung zu überleben. „Derzeit sind die Zwillinge stabil“, teilte das Ärzteteam unter dem Neurochirurgen Benjamin Carson um 22.00 Uhr Ortszeit (4.00 Uhr MESZ) mit. Carson verordnete den kleinen Patientinnen aus Deutschland eine Nachtruhe auf der Intensivstation, berichtete der „Stern“ in seiner Onlineausgabe. Die Zeitschrift hat einen Exklusivvertrag mit den Eltern Nelly und Peter abgeschlossen.

Der spektakuläre Eingriff in der Johns Hopkins Universität sollte bis zu 48 Stunden dauern. Zur Begründung für den Stopp nach rund acht Stunden gab die Klinik „Komplikationen mit dem Stoffwechsel“ bei einem der beiden einjährigen Zwillinge an. Zu jenem Zeitpunkt waren die Chirurgen bereits durch die äußere Hirnhaut gedrungen und hatten begonnen, die größeren Blutgefäße im Gehirn der Babys zu trennen. Mehr als 100 Ärzte, Anästhesisten, Assistenten und Schwestern warten darauf, im Schichtwechsel Hand anzulegen. Der Eingriff gilt als äußerst schwierig und war an Modellen immer wieder geübt worden.

Unterdessen bangten Tausende Menschen in Deutschland mit den Eltern Nelly und Peter um das Schicksal der Babys. Lea und Tabea hatten doppeltes Pech. Sie haben die schwierigste aller Verwachsungen, mit der nur zwei Prozent aller Siamesischen Zwillinge zur Welt kommen. Statistisch gesehen kommt ein Fall wie ihrer nur ein Mal bei zehn Millionen Geburten vor. Eine Abtreibung kam für Mutter Nelly aus religiösen Gründen nicht in Frage.

Lea und Tabea waren bereits einen Tag vor Operationsbeginn unter Narkose gesetzt worden. Sie wurden am Samstag kurz nach 7.00 Uhr Ortszeit (13.00 Uhr MESZ) in den OP gebracht, mussten dann aber weitere vier Stunden auf den Eingriff vorbereitet werden, hieß es offiziell. Selbst wenn die Operation fortgesetzt wird und beide Kinder sie überstehen, können schwere Folgeschäden auftreten. Von den weltweit 30 Kindern, die Trennungen an der Schädeldecke überlebt haben, sind 17 behindert. Nur sieben können ein ganz normales Leben führen.

Die Sprecherin der Universität war ursprünglich recht optimistisch. „Wir wollen den beiden Mädchen ein gesundes und unabhängiges Leben schenken“, sagte Kim Hoppe. Der federführende Neurochirurg Carson gilt als einer der erfahrensten Ärzte weltweit für die Trennung Siamesischer Zwillinge am Oberkopf. Er hat die Operation bereits vier Mal ausgeführt – mit unterschiedlichem Ausgang. Im vergangenen Sommer starben Zwillinge, 29-jährige Frauen aus dem Iran, auf seinem Operationstisch.

Lea und Tabea teilen sich einen Schädelknochen und wichtige Blutgefäße. Beide besitzen unabhängige und gut ausgebildete Gehirne. Die Mädchen sind aufgeweckt, verspielt und bis auf ihre Verwachsung kerngesund. Sie wurden seit dem 9. Juni mehrere Male operiert, um die Haut am Schädel mit Silikonexpandern zu dehnen. Damit wollten die Chirurgen erreichen, dass genügend Haut zur Verfügung steht, um am Ende beide Schädeldecken bedecken zu können. An diesem Wochenende gehörte den kleinen Patienten aus Deutschland die Klinik der angesehenen Universität in Baltimore quasi ganz allein. Alle anderen Operationen wurden abgesagt.

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