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US-Wahl: Illusionen über Kerry

Viele glauben, dass ein Sieg Kerrys über Präsident George W. Bush bei den Wahlen am 2. November das Ende der transatlantischen Dissonanzen einläuten würde.

Zahlreiche Verlage bieten derzeit Kerry-Biografien an. Vier von ihnen liefern Belege dafür, dass sich der Senator aus Massachusetts außenpolitisch keineswegs drastisch vom viel geschmähten Bush unterscheidet.

Das jüngste Bonmot aus Washington wirft darauf ein Schlaglicht: Wer bangt im Verborgenen am glühendsten um eine Wiederwahl von Bush? Antwort: Filmemacher Michael Moore – weil er sonst keine Millionen mehr mit „Bush-bashing“ verdienen könnte. Senatorin Hillary Clinton – weil sie nur bei einem Bush-Sieg 2008 Aussichten auf die demokratische Präsidentschaftskandidatur hätte. Und Bundeskanzler Gerhard Schröder – nicht nur, weil nur Bush die Chance bietet, vielleicht doch noch mal mit der anti-amerikanischen Karte Wahlkampf zu machen. Sondern auch, weil ein Präsident Kerry ihn in größte politische Verlegenheit bringen könnte.

„Die Europäer wären gut beraten, sich auf unliebsame Überraschungen einzustellen“, schreibt Wolfgang Koydl in seinem Buch „John Kerry – Eine neue Politik einer Weltmacht?“. Kerrys Beteuerung, alte Allianzen wieder beleben zu wollen, bedeutet auch, dass ein Präsident Kerry in Berlin und Paris um Geld und wohl auch Soldaten für den Irak anstehen würde.

Koydl, USA-Korrespondent der „Süddeutschen Zeitung“, gelingt mit der Biografie Kerrys nebenbei auch eine unterhaltsame Analyse der US-Demokratie – mit manchen Seitenhieben auf den plumpen Antiamerikanismus in Europa, dessen Geschichte so alt ist wie die der USA. Mit profundem historischen Wissen schildert Koydl die Besonderheiten dieses 250 Jahre alten Systems mit seinen erstaunlichen Basis-demokratischen Elementen, den Millionen Dollar teuren Wahl-Rummeln, der höchst wirksamen Gewaltenteilung oder dem allgemeinen Misstrauen der Amerikaner gegen jede Regierung – trotz aller patriotischen Gefühle.

Den schärfsten Blick auf die Persönlichkeit Kerrys haben drei Reporter des „Boston Globe“ aus seinem Heimatstaat Massachusetts. Ihr Buch „John F. Kerry – der Herausforderer“ zeichnet detailreich die Lebensetappen dieses höchst widersprüchlichen Mannes nach. Einerseits aus begütertem Diplomaten-Haus, in europäischen und amerikanischen Internaten groß geworden, hochgebildet, mehrsprachig, charmant, sportlich – anderseits um Bodenständigkeit bemüht, mit holpriger Rhetorik, oft hölzern wirkend, kein Mann, der begeistert, während seiner Zeit an der Eliteuniversität Yale mehr geachtet als beliebt – und das hat sich in seinen Jahren als Senator kaum geändert.

Noch deutlicher wird die Eigenwilligkeit Kerrys beim zentralen Wahlkampfthema Krieg. Der hochdekorierte Vietnam-Veteran, der sich freiwillig zum Militär gemeldet hatte, wurde 1970 zu einem der schärfsten Kritiker des Vietnamkriegs. 1991 stimmte er gegen den ersten Irakkrieg – um ihn später zu rechtfertigen und zu loben. 2002 stimmte er für den zweiten Irakkrieg – um ihn nun heftig als schlecht geführten und falsch begründeten Waffengang zu geißeln.

Auch Friederich Mielke vermittelt in seinem Band „John F. Kerry – eine amerikanische Biografie“ anschaulich die schillernde Persönlichkeit des Demokraten – wenn auch die Wertschätzung des Autoren für den „Hoffnungsträger“ Kerry deutlich wird. Mielke schätzt den Kosmopoliten und „mutigen“ Politiker. Kerry verkörpert für seine Anhänger die wahren Ideale Amerikas: Freiheitsliebe, Mut, Zivilcourage, Patriotismus, aber auch die Fähigkeit zur Selbstkritik. Seine Gegner kritisieren ihn als Streber und Opportunisten, prinzipienlos, wankelmütig und eitel.

Martin Schwarz bezieht schon im Buchtitel Position: „John Kerry – Amerikas Chance“. Der Autor macht wenig Hehl aus seiner Ablehnung von Bush. Eine Stärke des Buches liegt neben einer lebendigen, wenn auch sprachlich nicht immer überzeugenden Schilderung Kerrys in einem Anhang mit Zitaten über Kerry und Redeauszügen des Präsidentschaftskandidaten. Aber alle Biografien eröffnen den Zugang zu einem Politiker, der möglicherweise schon in wenigen Monaten an den Schalthebeln der einzigen Supermacht sitzt.

Buch-Tipp:

  • Wolfgang Koydl: John Kerry – Eine neue Politik der Weltmacht USA?
    S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main, 206 S., Euro 7,90 ISBN 3-596-16605-5
  • Michael Kranish/Brian Mooney/Nina Easton: John F. Kerry – Der Herausforderer
    Rowohlt, Berlin< 335 S., Euro 19,90)

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