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US-Truppen erstmals auf irakischem Gebiet

Amerikanische Truppen sind im Zuge der Vorbereitungen auf einen Krieg gegen den Irak erstmals in irakisches Gebiet einmarschiert.

Ein US-Militärkonvoi von 50 Lastwagen mit Waffen und militärischer Ausrüstung überquerte am Wochenende die türkisch-irakische Grenze bei Habur, wie der zuverlässige türkische Nachrichtensender NTV meldete; der Bericht wurde von amerikanischen und türkischen Stellen auf Nachfragen nicht dementiert.

Das Material war über den südtürkischen Luftwaffenstützpunkt Incirlik eingeflogen worden, den die US-Luftwaffe seit dem letzten Golfkrieg zur Überwachung des Nordirak nutzt, und soll unter anderem der Bewaffnung nordirakischer Kurdenmilizen dienen. Zudem stationierten die USA demnach 500 Soldaten und Geheimdienstler im Nordirak, der von Kurdengruppen kontrolliert wird und nach US-Planung bei einem Angriff auf Bagdad als nördliches Aufmarschgebiet für alliierte Bodentruppen genutzt werden soll.

Die Vorbereitungen zum Aufbau einer nördlichen Front gegen Bagdad dürften in den nächsten Tagen und Wochen weiter an Tempo gewinnen. Noch in dieser Woche will eine US-Militärdelegation ein halbes Dutzend türkische Luftwaffenstützpunkte auf ihre Kriegstauglichkeit hin untersuchen, um notwendige Nachrüstungen einleiten zu können. US-Vizeverteidigungsminister Paul Wolfowitz hatte bei einem Besuch in Ankara vor zwei Wochen angekündigt, dass der Ausbau der Stützpunkte bis Ende Jänner abgeschlossen sein solle, damit ab Februar mit der Truppenstationierung begonnen werden könne.

Zugleich drängt die US-Regierung in Ankara auf eine verbindliche Antwort auf ihren Forderungskatolog für den Kriegsfall. Insgesamt 90.000 Soldaten will Washington übereinstimmenden Quellen zufolge in der Region stationieren, davon 60.000 Mann im Nordirak und 30.000 Mann auf türkischem Boden. Außerdem ersuchen die USA um die Nutzung mehrerer Luftwaffenstützpunkte in der Türkei, der türkischen Mittelmeerhäfen und der türkisch-irakischen Eisenbahn- und Straßenverbindungen.

Während Ankara dem Wunsch nach Luftwaffenbasen und Häfen ohne Murren entsprechen dürfte, wird um die Truppenstationierung noch heftig gefeilscht. Einen ersten US-Plan, wonach amerikanische und britische Soldaten den Nordirak besetzen sollten, hatte die türkische Regierung bereits bei Wolfowitz’ Besuch abgelehnt, weil Ankara den britischen Interessen in der Region misstraut. Den Gegenvorschlag der Türkei, wonach türkische Truppen die Kontrolle über den Nordirak übernehmen sollten, lehnte Washington dagegen ab, weil dies auf den Widerstand der ebenfalls kriegsnotwendigen Kurdengruppen stoßen würde.

Wie aus Regierungskreisen in Ankara verlautete, will die Türkei nun als Kompromiss vorschlagen, dass türkische und amerikanische Truppen gemeinsam die Kontrolle über den Nordirak übernehmen, wobei die türkischen Einheiten in der Überzahl sein müssten. Damit will die trotz aller US-Garantien weiterhin misstrauische Türkei sicherstellen können, dass die nordirakischen Kurden den Krieg weder zur Gründung eines eigenen Staates noch zur Eroberung der Erdölzentren Mosul und Kirkuk nutzen können.

Noch schwieriger gestalten sich die Verhandlungen über eine US-Truppenstationierung auf türkischem Boden, die Umfragen zufolge von mehr als 80 Prozent der Türken abgelehnt wird. Nach der türkischen Verfassung kann die Erlaubnis dazu nur vom Parlament erteilt werden. In Ankara hieß es, dass die Regierung in den kommenden Tagen eine nicht-öffentliche Sitzung der Volksvertretung einberufen könnte, um darüber zu entscheiden. In Regierungskreisen war auch schon davon die Rede, einen Volksentscheid anzusetzen.

Auch die türkische Armee steht einer US-Truppenstationierung im Lande ablehnend gegenüber. Die Streitkräfte der Türkei seien zur Wahrung der türkischen Interessen auf alle Eventualitäten vorbereitet, bestätigte das Hauptquartier jetzt die seit Wochen andauernden Truppenverstärkungen an der irakischen Grenze – ob es um eine Flüchtlingswelle aus Irak gehe, um Bestrebungen zur Gründung eines Kurdenstaates oder um die Infiltration von PKK-Kämpfern aus Nordirak.

Nicht gutgeheißen werden könne dagegen die Stationierung ausländischer Truppen zur Verfolgung anderer Interessen, verlautete aus dem türkischen Generalstab, der auch einen Gegenvorschlag parat hatte: „Die Türkei könnte nach Maßgabe ihrer eigenen Interessen gemeinsam mit den USA aktiv werden.“ Klartext: Die US-Streitkräfte dürfen über die Türkei in den Nordirak einmarschieren – aber die türkische Armee wird sie dabei auf Schritt und Tritt begleiten, um ihnen auf die Finger zu sehen.

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