UNO-Forschergremium analysiert mögliche Atomkriege

Die Arbeiten begannen am Donnerstag und Freitag, wie die Expertinnen und Experten des "Unabhängigen wissenschaftlichen Gremiums zu den Auswirkungen eines Atomkriegs" am Freitagabend vor Journalisten erklärten. Mit ihren Aufgaben betraut wurden die Wissenschafterinnen und Wissenschafter nach einem intensiven Austauschprozess von UN-Generalsekretär António Guterres im Juli. Unter ihnen finden sich mit Friederike Renate Friess vom Institut für Sicherheits- und Risikowissenschaften der Universität für Bodenkultur (Boku) Wien und dem Komplexitätsforscher und Leiter des Supply Chain Intelligence Institute Austria (ASCII) in Wien, Peter Klimek, auch zwei Vertreter von österreichischen Einrichtungen, teilte das ASCII mit.
"Nicht Angst schüren, aber Bewusstsein schärfen"
Man wolle "nicht Angst schüren, aber Bewusstsein schärfen, was passieren kann", wenn es eine nukleare Auseinandersetzung gibt - selbst wenn diese lokal begrenzt bleibt, erklärte die frühere stellvertretende Generaldirektorin der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO), Ana María Cetto Kramis. Es gehe darum, möglichst viele wissenschaftliche Fakten zu einem Ereignis zu sammeln, das glücklicherweise seit den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki vor 80 Jahren nicht mehr tatsächlich eingetreten ist.
Dies sei "eine ganz schön große Aufgabe", betonte Klimek. Bis zum Jahr 2027, wenn der UN-Generalversammlung der Abschlussbericht vorgelegt wird, soll nämlich eine umfassende Analyse zu den Auswirkungen von mit Atomwaffen geführten Auseinandersetzungen erarbeitet werden. Es wäre das erste derart umfassende Papier zu der Thematik seit der letzten einschlägigen Querschnittsstudie, die aus dem Jahr 1988, und damit noch aus Zeiten des "Kalten Krieges", datiert.
Plus bei Atomwaffen "keine gute Entwicklung"
Seither habe sich viel verändert: "Wir leben heute in globalen Lieferketten." In manchen Gebieten, wie etwa im Pharma-Bereich, hänge man teils von wenigen Fabriken in bestimmten Regionen ab, deren Ausfall die gesamte Weltwirtschaft betreffen könnte. Klimek: "Die Risiken sind heute anders."
Dazu komme, dass seit den 1980er Jahren - in denen die nukleare Bedrohung vielleicht greifbarer war - die Anzahl der Atomwaffen deutlich zugenommen hat. "Das ist keine gute Entwicklung", sagte Andrew Haines von der London School of Hygiene and Tropical Medicine. Gleichzeitig verblasse möglicherweise die Erinnerung an die Auswirkungen der Tschernobyl-Katastrophe im Jahr 1986. So ist es auch Aufgabe des Gremiums, jüngeren Menschen und Entscheidungsträgern bewusst zu machen, was Hiroshima, Nagasaki oder Tschernobyl ausgelöst haben.
Hoffnung auf Anstoß für tiefere Diskussionen
"Jedes nukleare Event wird fundamental verheerend" und globale Auswirkungen nach sich ziehen, betonte Togzhan Kassenova von der University at Albany (USA). Daher sollte auch in Ländern, die keine Atomwaffen haben und die schon lange in Frieden leben, konkreter darüber nachgedacht werden. Man wolle also auch eine profundere Diskussion ermöglichen und viel mit Expertinnen und Experten aus verschiedenen Sektoren sprechen.
Blickt man auf die schiere Anzahl der aktuell geführten bewaffneten Konflikte und die Involviertheit von Atommächten, wie Russland, bzw. De-facto- und Vielleicht-Atommächten, wie dem Iran oder Israel, dann erscheint die Einberufung eines wissenschaftlichen Gremiums durch die UNO mehr als nachvollziehbar. Zum Beispiel greift das beklemmende Thema aktuell auch Kathryn Bigelows Thriller "A House of Dynamite" auf. Der Film spielt in den letzten Minuten vor einem atomaren Raketeneinschlag und gilt als aussichtsreicher Kandidat für den Hauptpreis bei den 82. Filmfestspielen in Venedig.
Umfassende Analyse geplant
Der - zum Glück auch fiktionale - Auftrag an die 21 Forschenden aus der ganzen Welt lautet, ein möglichst klares Bild der physischen, gesellschaftlichen und ökologischen Folgen eines möglichen Nuklearkriegs auf lokaler, regionaler und globaler Ebene zu zeichnen. Skizziert werden sollen "Klima- und Umwelteffekte, sowie die Auswirkungen der Strahlung" auf die "öffentliche Gesundheit, die weltweiten sozioökonomischen Systeme, sowie die Landwirtschaft und Ökosysteme in den Tagen, Wochen und Jahrzehnten nach einem nuklearen Krieg", heißt es in einer Mitteilung des UN-Büros für Abrüstungsfragen.
(APA)