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Ungarn: "EU kann zur Erfolgsstory werde"

"Die EU wird nicht alle unsere Probleme lösen, das haben die Menschen schon verstanden", erklärt der ungarische Politik- wissenschaftler Zoltan Kiszely in einem Gespräch mit der APA.

Dennoch werde es Enttäuschungen geben. Diese „EU-Skepsis“ könnten Oppositionsparteien bei den nächsten Wahlen in Mandate umwandeln. Der Vorsitzende des rechtskonservativen FIDESZ-Ungarischer Bürgerverband, Viktor Orban, hätte ein Gespür dafü, so Kiszely. „Er unterstützt die EU als Politiker, rechnet aber auch damit, dass er aus der Enttäuschung, die nach dem EU-Beitritt zwangsweise eintreten wird, politisches Kapital schlagen kann.“

Die EU könnte nach den Worten Kiszelys für Ungarn eine „Erfolgsstory“ werden, wenn Ungarn gut gerüstet sei. Allerdings sei das institutionelle System gegenwärtig nicht gut ausgebaut, „das hat auch die EU bemängelt“. Für den Politologen ist der Mangel an Eigenkapital der „wichtigste Schwachpunkt“. Im Zusammenhang mit der unterschiedlichen Einschätzung des Landes hinsichtlich seiner EU-Reife erinnert Kiszely an das „berühmte halb volle oder halb leere Glas“. „Natürlich sei es Aufgabe der Opposition, Kritik zu üben , „Dinge in einem schlechten Licht darzustellen“. Außerdem entspreche Pessimismus, wonach ein Glas also nur „halb leer“ und nicht „halb voll“ sei, der ungarischen Mentalität.

An der Schwelle zur EU gebe es Bewegung im Parteiengefüge. FIDESZ würde sich als „rechte Volkspartei“ in Richtung „links“ öffnen. Denn ansonsten bliebe das Wählerpotential mit der bisherigen „ideologischen Profilierung“ begrenzt, analysiert Kiszely. Die Öffnung von FIDESZ zeige in Richtung Stammwähler der Sozialistischen Partei (MSZP). Orban habe das rechte Lager „unter seiner Kontrolle, jetzt muss er auch Stimmen aus dem linken Lager holen“. FIDESZ habe richtig erkannt, dass „die wirtschaftlichen Gesichtspunkte, die Fragen des alltäglichen Lebens, alle Menschen angehen, da gibt es keine linke oder rechte Annäherung.“

Die Messlatte für die Regierung laute, so Kiszely: „Leistet sie gute Arbeit, haben die Leute viel Geld, sind zufrieden. Haben sie weniger Geld, sind sie unzufrieden.“ Diese Unzufriedenheit versuche Orban für sich auszunutzen, indem er sich auch „vom Parteienstreit abhebt und praktisch als Vater der Nation auftritt, sich von seiner Partei entfernt und so versucht, links von der Mitte Stimmen zu gewinnen“.

Hier habe FIDESZ im konservativen Demokratenforum (MDF) eine Konkurrenz. Die MDF-Vorsitzende Ibolya David würde versuchen, ihre Politik in der Mitte zu betreiben, doch „damit kreuzt sie den Weg von Viktor Orban“. David „kann authentischer, aber Orban und FDIESZ können erfolgreicher um die Gunst der Mitte-Wähler buhlen“. David müsse sich entscheiden, ob sie die Politik von FIDESZ unterstütze. In diesem Fall „macht sie sich selbst überflüssig“. Die Frage laute, ob das MDF bei den Wahlen 2006 allein die Fünf–Prozent-Hürde für den Einzug in das Parlament schaffen werde.

Am 1. Mai trete mit Ungarn ein stark polarisiertes Land der EU bei. Es gebe keinen Parteienkonsens in wichtige Fragen wie „Wie hoch soll der Steuersatz sein, wie können die Arbeitsplätze gesichert werden“, resümiert der Experte. „Mit ideologischen Debatten kann man diese Fragen nicht beantworten, da diese noch dazu Investoren eher verschrecken als anziehen. Sie machen Ungarn instabil, und Instabilität mag das Kapital nicht.“ Es gebe Vorschläge seitens des Premiers Peter Medgyessy zur Zusammenarbeit, die „diesem ideologischen Zank ein Ende bereiten wollen“.

Stimmen aus der Bevölkerung formulierten auch Ängste, mit dem EU-Beitritt würde Ungarn seine Souveränität einbüßen. Kiszely: „Es gibt kein freies Mittagessen – There is no free lunch, sagt der Engländer.“ Die Menschen müssten einsehen, und hätten das teilweise auch getan, dass der Beitritt zur EU auch einen schärferen Wettbewerb bringen werde. „Was das bedeutet, wissen die meisten noch nicht.“ Eine EU-Mitgliedschaft bedeute auch Opfer. Vor allem die Rechtsparteien würden fordern, „das Beste aus der EU herauszuholen, wie das die Griechen, die Portugiesen tun“. Die Linksparteien wiederum seien „mehr eingeflochten in die Globalisierung“.

Die Unterstützer der Sozialisten „gehören der Funktionselite des Landes an, sind involviert in multinationale Konzerne und stimmen für eine Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit Ungarns, damit das Land sich ’besser behaupten kann’“. Mit dieser Verbesserung „verbessert man die Positionen der Funktionseliten“. Hinter FIDESZ stelle sich eine „Alternativelite“; diese wolle „der nationale Elite auch eine Chance geben“. Doch staatliche Fördermittel könnten nur für einen Zweck ausgegeben werden. „Wir haben nicht so viel Geld, dass beide Eliten gefördert werden können. Das artet in einen politischen Kampf aus.“ Der Politologe nimmt den Autobahnbau als Beispiel. Es frage sich: „Sollen multinationale Konzerne – Österreicher, Franzosen – die Autobahnen bauen oder ’die ungarische Firma, die mit Fördergeldern aus dem Boden gestampft wurde?’“.

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