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Ukrainer fürchten um ihr Erspartes

„Ich habe schon zwei Mal alle meine Ersparnisse verloren“, klagt der 73-jährige Viktor Hrebeniuk. „Das erste Mal war 1990, als die Sowjetunion zusammenbrach und mein ganzes Geld in Russland war.

Und dann noch einmal 1997, als die Banken mit den besten Zinsangeboten plötzlich pleite gingen. Da war es genauso wie jetzt. Sie reden von einem „kleinen Problem“ und dann ist die Bank am Ende.“

Hrebeniuk wartete am Mittwoch mit rund 200 weiteren Kiewern vor der Zentrale der ältesten und größten Bank in der ukrainischen Hauptstadt. Die meisten wollten so viel Bargeld abheben, wie sie nur bekommen konnten. Der Grund für die lange Schlange war eine Anordnung der Ukrainischen Nationalbank vom Mittwoch. Ab sofort dürfen Privatpersonen nur noch maximal 1000 Dollar von ihrem Konto abheben.

Innerhalb kürzester Zeit warteten landesweit zehntausende zumeist ältere Ukrainer mit ihren Sparbüchern in der Hand vor den Bankschaltern. Die wenigsten glaubten den Versprechen der Regierung, dass die Maßnahme nur vorübergehend sei. Sie wollten ihr ganzes Geld in die Hand bekommen.

Ein langwieriger bürokratischer Vorgang beginnt, wenn jemand einen der vier Bankschalter erreicht hat. Formulare müssen ausgefüllt, Unterschriften und Stempel besorgt werden, bevor das Geld endlich ausgezahlt wird. Aber auch wenn es lange dauert, es entsteht keine Unruhe. Kaum ein Ukrainer hat so viel Geld auf dem Konto, dass er nicht alles ausgezahlt bekäme. Zumindest am ersten Tag scheinen die neuen Regeln keine Probleme zu schaffen.

Die Frage ist jedoch, ob das lange so bleiben wird. Finanzminister Mykola Asarow hat eine dramatische Warnung ausgesprochen: „Wir stehen vor einer finanziellen Katastrophe. Wenn wir jetzt nichts unternehmen, um die Lage zu stabilisieren, könnte es morgen schon zu spät sein.“ Vor dem Parlament nannte er dramatische Zahlen. Wegen ständig sinkender Währungsreserven habe das Land weniger als einen Monat, um die Währung zu stabilisieren. Sonst breche sie zusammen.

Auch dass der Direktor der Nationalbank am Dienstag von seinem Amt zurücktrat, wird als ominöses Zeichen für die Zukunft des ukrainischen Bankensystems gesehen. Im Zeichen einer schwachen Währung und wegbrechender Steuereinnahmen gibt es niemanden, der eine Gegenstrategie organisieren würde.

Die privaten Geldwechsler, immer gute Indikatoren für wirtschaftliche Entwicklungen, verkaufen schon seit Tagen nur noch widerstrebend Devisen gegen ukrainisches Geld. Ein Sprecher der größten ukrainischen Privatbank ist allerdings überzeugt, dass das Land die Krise zwar mit Unannehmlichkeiten, aber ohne Bankenzusammenbrüche überstehen wird.

Die Lehrerin Tamara Borowska, die gemeinsam mit Viktor Hrebeniuk in der Schlange steht, glaubt solchen Prognosen nicht. „Die Experten können sagen was sie wollen. Ich hole mir mein Geld.“

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